Der Frühling - Hyddenworld ; 1
gar nicht viel gemeinsam«, sagte Katherine, verwundert darüber, wie ungezwungen sie miteinander reden konnten, aber …
»Du hast recht, vielleicht sollte ich lieber nicht kommen.«
»Sei nicht albern«, entgegnete sie, obwohl ihr selbst plötzlich Zweifel kamen.
Es blieb lange still.
»Natürlich möchte ich kommen«, sagte er schließlich. Zu seinem eigenen Erstaunen hätte er beinahe hinzugefügt:
In all den Jahren habe ich mich danach gesehnt, mit dir zu sprechen, Katherine, und in letzter Zeit habe ich über, na ja, über einiges nachgedacht. Ich habe ständig an dich denken müssen, und ich weiß nicht, warum. Nun ist es so gekommen, und ich finde es gut.
Das stimmte. Diesen Frühling hatte er Dinge bemerkt, die ihm nie zuvor aufgefallen waren – die Erwärmung der Luft, die Farben des Lebens, Knospen an den Stadtbäumen und manchmal am Abendhimmel Vogelschwärme, die aus dem Süden Europas zurückkehrten. Er hatte sich deswegen ruhelos und wie eingesperrt gefühlt. Und er hatte an die Foales denken müssen, an ihr Landhaus und an Katherine. Er hatte sich gewünscht, wieder Kontakt zu ihr zu haben. Jetzt war sie am anderen Ende der Leitung, ein Wunsch war in Erfüllung gegangen.
Aber Jack wollte sich nichts davon eingestehen.
Von seinen eigenen Gedanken peinlich berührt und nicht ahnend, dass sie weitgehend dasselbe dachte, beteuerte er stattdessen wieder: »Natürlich möchte ich dich sehen.«
Ich dich auch,
dachte sie.
Ich dich auch, Jack …
Aber alles, was sie herausbrachte, war: »Das ist cool!«
»Erzähl, wie ist es denn so bei euch?«, fragte Jack unvermittelt, nur um das Thema zu wechseln.
»Das Haus liegt in einem Tal direkt gegenüber dem White Horse Hill«, antwortete sie. »Das weiße Pferd wurde in den Kreidehügel gescharrt. Ich habe dir mal eine Postkarte mit einem Bild davon geschickt.«
Aus einem ihm unerfindlichen Grund gehörte diese kleine Karte zu den ganz wenigen Dingen, die ihm wirklich etwas bedeuteten. Sie hatte einen Ehrenplatz in seiner Postkartensammlung und verkörperte für ihn alles Mögliche, besonders Freiheit. Wie oft hatte er davon geträumt, all diese Orte, die auf Katherines Postkarten abgebildet waren, auf dem Rücken eines herrlichen Schimmels zu besuchen, aber er hatte nie daran gedacht, sich den White Horse Hill selbst anzusehen.
»Ich habe sie noch«, sagte er und fügte hinzu: »Weißt du noch, was du darauf geschrieben hast?«
»Ja«, antwortete sie leise.
Es hatte ihm alles bedeutet, denn sie hatte ihm die Karte während seiner Zeit im Krankenhaus kurz nach einer besonders schwierigen und schmerzvollen Operation und kurz vor ihrem Streit geschickt.
Schau Dir das Pferd an, wenn Dir danach ist, so wie ich es mache,
hatte sie geschrieben.
Stell Dir vor, Du sitzt auf seinem Rücken, und es kann Dich jederzeit an jeden beliebigen Ort tragen … an einen Ort, wo es keinen Schmerz gibt, nur Gutes. Alles Liebe, Deine Katherine.
Er hatte diese Worte tausendmal gelesen und war auf diesem Pferd mir ihr um die ganze Welt geritten.
Alles Liebe, Deine Katherine.
Er bezweifelte, dass er ihr, oder sonst jemandem, jemals gestehen würde, wie viel ihm diese letzten Worte auf ihren Postkarten bedeuteten.
Tags darauf rief er sie erneut an.
»Ich komme heute Nachmittag«, sagte er.
»Prima. Ich bestelle ein Taxi, das dich abholt.«
»Ist bereits erledigt. Sie bezahlen mir die Fahrt.«
»Die ganze Strecke?«
Jack lachte. »Dazu sind Sozialeinrichtungen da. Sie sollen Leuten wie mir Fahrtkosten ersparen. Höchst merkwürdig, aber es zeigt nur, dass sie manchmal etwas richtig machen. Gegen vier bin ich da.«
»Rechtzeitig zum Tee.«
»Klingt ja lauschig.«
»Du weißt doch, wie Mrs. Foale solche Dinge mag und …«
»Und?«
»… ich auch.«
26
ZIMMER MIT AUSBLICK
K atherine Shore saß in ihrem Zimmer im Obergeschoss von Woolstone House und blickte über die Wiesen zu dem steilen, bewaldeten Hang des White Horse Hill hinüber. Das Pferd selbst sah aus wie immer, so wie es schon seit annähernd fünftausend Jahren aussah. Je nach Katherines Stimmung galoppierte es mal von links heran oder sprang nach rechts davon.
Sie hatte mit diesem Pferd so manchen Ritt unternommen, so manche Träne auf seinem Rücken vergossen, sich so manches Mal von ihm durch die wilden Stürme ihrer Fantasie zu fernen Küsten tragen lassen – anfangs, als sie noch jünger war, einfach auf der Suche nach Abenteuern, später auf der Suche nach unerfüllbarer, platonischer
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