Der Frühling - Hyddenworld ; 1
Sommers steckte. Ihr linkes Handgelenk umspannte ein Armband in den zarten Tönen des Herbstes. Und ihr rechter Arm hielt einen Schild, dessen Buckel das kalte Licht des Winters verströmte. Sie nickte ihm leicht zu, wie um ihn aufzufordern, die letzten Meter vom Auge des Pferdes bis zur Hügelkuppe hinaufzusteigen.
Eine letzte Regenböe fegte über den Hang und machte ihm selbst diese letzten Schritte zur Qual.
Dann war die Böe fort und mit ihr die Brosche, das Armband, der Schild und all die herrlichen Farben.
»Jack«, begann sie, »ich habe so viele Jahre darauf gewartet, dass du mich findest.«
Ihr Mantel war vom Regen durchweicht, ihr nasses Haar über dem alterslosen Gesicht nach hinten gestrichen, und ihr Blick erfüllt von hunderttausend Dingen, als sie die Augen von ihm abwandte und auf einen Punkt im Tal richtete.
Er drehte sich um und blickte in dieselbe Richtung, und weit unten, dort, wo er hergekommen war, erblickte er die beiden großen Koniferen, und dazwischen Woolstone House.
Da wusste er instinktiv, nicht wer sie war, aber was sie war.
Die Reiterin des weißen Pferdes.
Sie hatte ihn einst abgeholt, als er jung und verängstigt gewesen war, ihn getröstet, als er sich vor der Fremde fürchtete, ihm Mut zugesprochen, als er, um am Leben zu bleiben, alles Vertraute hinter sich lassen musste. Und sie hatte zu ihm gesagt, dass er der Riesewerden könne, als der er geboren worden sei. Und dass er eines Tages vielleicht nach Hause zurückkehren könne.
Dann hatte sie ihn auf ihrem Pferd fortgeschickt, hinauf in den Himmel, zu den Sternen. Wie ein Blatt, das sanft der Wind bewegt, war er von dort auf die Erde zurückgekehrt und in das Leben, das er jetzt kannte.
»Erinnerst du dich noch an meinen Namen?«, fragte sie.
Jack schüttelte den Kopf.
Er hatte Kreide und Schmutz im Gesicht, graue Schmiere an den Kleidern, Wasser in den Stiefeln, und er war sehr müde und fror. Auf dem ganzen Weg zum Gipfel des Hügels hatte er sich gefürchtet wie schon in all den Jahren zuvor, doch in ihrer Gegenwart war alle Furcht verflogen.
Sie streckte ihm die Hand entgegen und half ihm bei seinem letzten Schritt.
»Mein Name ist Imbolc«, sagte die Friedensweberin, »und ich bin nun fast am Ziel meiner Reise. Vor zehn Jahren bin ich am Ende des Winters meines Lebens angekommen, und seitdem lebe ich von geborgter Zeit. Ich habe beobachtet, wie du und Katherine herangewachsen seid, bis ihr bereit wart, die Herausforderungen eures Lebens anzunehmen. Diese Zeit ist jetzt gekommen. Also höre mir zu, lerne und präge dir alles ein …«
35
HEIMKEHR
J ack hatte recht behalten, denn der dunkle Fremde mit dem Namen Tod, dessen Gegenwart er schon am Tag seiner Ankunft im Wintergarten gespürt hatte, hatte Clare am selben Nachmittag ins Ohr geflüstert, dass ihr Lebensweg nun zu Ende sei.
Das allgegenwärtige Klirren der Windspiele draußen im Garten, das vorübergehend sehr laut geworden war, als Jack sich auf den Weg zum weißen Pferd gemacht hatte, wurde trotz der Sturmböen immer leiser und leiser.
»Katherine?«, rief Mrs. Foale.
»Katherine!«
Clare Shore fragte nach Jack.
»Aber er ist doch auf dem Hügel, Mum«, sagte Katherine und ergriff ihre Hand. »Er wird noch eine Weile fort sein. Ich könnte aber losgehen und versuchen …«
Clare schüttelte den Kopf und drückte Katherines Hand einen Augenblick lang fester.
»Bleib«, hauchte sie und blickte zu Mrs. Foale, die nur nickte und schwieg.
»Ich möchte …«
»Ja, Mum?«
»… ihm noch einmal dafür danken, dass er dir das Leben gerettet hat. Und ihm sagen …«
Nur in ihren Augen schien noch Leben zu sein. Alles andere war nichts als ein Schatten.
»Was? Was willst du ihm sagen?«
»Sag ihm, dass er jetzt bereit ist, und du auch. Sag ihm das.«
Clare rang nach Atem und begann zu husten. Mrs. Foale tätschelte ihr beruhigend die Hand.
»Und ich wollte dir noch von den …«, fuhr Clare nach einer Weile fort, und freudige Erinnerung ließ ihre Augen kurz aufleuchten,»… von den Windspielen erzählen … Was sie uns geben. Aber nun werden
sie
ja bald kommen und es dir zeigen. Das ist besser als alle Erklärungen.«
»
Wer
wird kommen, Mum? Und was werden sie mir zeigen?«
Clare Shore blickte zu Mrs. Foale. Traurigkeit erfüllte ihre Augen, denn sie wollte nicht gehen. Sie wollte nicht, dass ihr Katherines Hand für immer entglitt. Aber sie fühlte sich unendlich müde, und die Kinder waren bereit. Alles war gut, und sie konnte
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