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Der Frühling - Hyddenworld ; 1

Der Frühling - Hyddenworld ; 1

Titel: Der Frühling - Hyddenworld ; 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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war als nur ein freigescharrter Kreidestreifen auf einem Hügel und dass ihm jeder Schritt eine Willensanstrengung abverlangen würde.
    Immer weiter stapfte er durch Wind und Regen und Kälte. Im Kampf gegen die Elemente kniff Jack das Gesicht zusammen. Er fürchtete, die Orientierung zu verlieren, doch er war überzeugt, dass er nun keinem Pfad mehr zu folgen brauchte, sondern sich selbst einen Weg suchen musste.
    Er kämpfte sich weiter voran, stapfte durch Bäche aus Regenwasser, dass es spritzte, fand in Arthurs genagelten Stiefeln sicheren Halt. Er nahm die steilste Route, die er bewältigen konnte. Wenn er einfach geradeaus weiterging, musste er irgendwann den Gipfel erreichen, obwohl ihm jetzt jeder nächste Schritt beinahe wie eine Unmöglichkeit vorkam.
    Der Wind wurde stürmisch und grimmig. Gebeugt kletterte Jack weiter, immer erschöpfter, aber in der Gewissheit, dass er sich nicht zum Aufgeben oder Umkehren zwingen lassen würde. Doch mit einem Mal spürte er um sich herum etwas Neues und Beunruhigendes. Es war ein seltsames Unbehagen, eine Veränderung in den Dingen, das Gefühl, dass da etwas noch Gewaltigeres war als die Landschaft, der Himmel und die Elemente, dass es sich in ihm und um ihn veränderte, zu einem Ende kam und von neuem begann.
    Der Hang wurde so steil, dass er schließlich auf allen vieren über das kalkige und glitschige Gras kriechen musste. Er griff nach allem, das ihm Halt bot, und bohrte den Fuß in jedes Kaninchenloch, von dem er sich abstoßen konnte.
    Wenn er merkte, dass er zu weit nach rechts geriet, korrigierte er seine Richtung. Wenn ihm Regen in die Augen peitschte, wischte er ihn mit dem durchweichten Ärmelaufschlag seiner Jacke fort. Wasser lief ihm in die Stiefel, doch er achtete nicht darauf.
    Irgendwann hob er keuchend und stöhnend den Kopf und erschrak beinahe, als er zu seiner Linken eine Linie aus aufgeweichter, grauweißer Kreide bemerkte.
    Ein Bein des Pferdes. Ein Bein, das sich in der Ferne verlor.
    Dann zu seiner Rechten ein zweites, das ebenfalls von ihm fortstrebte, wie alles um ihn herum. Das uralte Pferd von Uffington nahm auf seltsame Weise Gestalt an, Weiß auf Grün, Kreide zwischen Gras. Weniger ein Pferd als ein Gewirr von Linien, die den Eindruck einer Bewegung erweckten, die ewig andauerte.
    Zwischen den endlos langen Gliedmaßen und den Umrissen des Pferdeleibes kroch er weiter, getrieben von Regen und Wind. Aus seinem Keuchen und Stöhnen wurden wilde Ausbrüche: Schreie der Erschöpfung und lebenslanger Schmerzen, Schreie der Wut und des Zorns, ein Brüllen und Heulen, das niemand außer ihm verstehen konnte. Dann war er endlich am Ziel und fiel, die Arme weit von sich gestreckt, kopfüber in das kreisrunde weiße Auge des Pferdes, das den Himmel widerzuspiegeln schien, aber die runde Form der Erde hatte.
    Jack fluchte und brüllte, den Geschmack von Kreide ihm Mund.
    Dann stand er auf, drehte sich um und wandte sich der Welt unter und dem Himmel über ihm zu. Endlich stellte er sich dem tiefen Unbehagen, das ihn auf dem letzten Teil des Anstiegs befallen und das ihn, wie er jetzt begriff, seit dem Unfall begleitet hatte.
    Jetzt wusste er, dass er ein Riesengeborener aus Hyddenwelt war, und was das bedeuten konnte, hatte ihm Margaret erklärt. Leute wie er waren offenbar immer verfolgt und getötet worden. Und das Gefühl, dass ihn jemand beobachtete, nährte seine angeborene Angst, zum Gegenstand des Hasses und der Furcht anderer zu werden.
    »Ja«, sagte er leise, »diese Angst ist mir in die Wiege gelegt, und sie wird nicht vergehen, bis ich denen, die mir nach dem Leben trachten, entgegentrete und sie besiege.«
    Der Wind flaute ab, und der Regen ließ nach. Schließlich blieb nur noch ein stetes Tröpfeln aus Jacks nassem Haar auf seinen Kragen.Das Unwetter zog so schnell weiter, wie es gekommen war, und hinterließ eine Landschaft, die nass, aber unbesiegt war.
    Dann kam die Sonne heraus, und das Gewirr von Linien ringsum fügte sich mit einem Mal zu einem Ganzen, zum Weißen Pferd von Uffington.
    Erst als die Luft endlich zur Ruhe kam, der Himmel vollends aufklarte und Jack vor Erschöpfung und Kälte am ganzen Leib zu zittern begann, bemerkte er die Frau, die über ihm auf der Kuppe des Hügels stand.
    Sie war fast nur ein Schattenbild vor dem hellen Himmel und Jack musste die Augen zusammenkneifen, um sie genauer zu erkennen. Sie hatte die Hände tief in den Taschen ihres Mantels vergraben, an dem eine Brosche in den Farben des

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