Der Fuenf-Minuten-Philosoph
ihren Verschreibungen, Bus- und Taxifahrern, unserer Familie und unseren Freunden und den zahlreichen Dienstleistungen und Annehmlichkeiten vertrauen,die wir täglich in Anspruch nehmen. Solcher Glaube ist nicht irrational, denn das Vertrauen, das wir hier einbringen, beruht auf gesammelten Erfahrungen. Auch wenn wir nie sicher sein können, dass ein Arzt oder Taxifahrer seine Aufgabe fehlerfrei erledigt, unsere Beziehung gelingt oder unser Auto auch anspringt, haben wir in unserer Abhängigkeit bei ihnen eine hohe Zuverlässigkeit festgestellt, die unser Vertrauen rechtfertigt. Aber so ein Glaube ist niemals unerschütterlich.
Das Vertrauen in Religion definiert sich traditionell als eine Haltung oder Neigung, die unseren Glauben an Gott und die Vorstellungen stützt, die seine Vertreter entwickelt haben. In einer säkularen Gesellschaft ist freilich wichtig, dass der Glaube von dem einengenden Monopol befreit wird, dass die Religion und ihre Lehren und theologischen Anschauungen auf ihn erheben. Wir können ohne Religion, nicht aber ohne Spiritualität glauben. Der amerikanische Philosoph und Pädagoge John Dewey (1859–1952) stellte fest, dass »religiöse Eigenschaften und Werte, so sie überhaupt real sind, nicht an einen einzelnen bejahten Glaubensinhalt geknüpft sind, nicht einmal an den, dass der Gott des Theismus existiert«. In der abendländischen Kultur herrschte von jeher das Problem, dass sich der Glaube üblicherweise auf unantastbare Wahrheiten bezog, die festlegten, unter welchen Bedingungen und in welchem Zusammenhang an etwas geglaubt werden musste. Der Säkularismus trug dazu bei, die scharfen Konturen von Glaubensinhalten zu verwischen. Möglich wurde so beispielsweise ein religionsloses Juden- oder Christentum, bei dem man die äußeren Schichten ihrer Geschichte, ihrer Mythen und angehäuften Glaubenssätze abschält und den jeweiligen spirituellen Kern freilegt. Der deutsch-amerikanische Philosoph und Dichter Walter Kaufmann (1921–1980) merkte an, dass es zahlreiche religiöse Überzeugungen gebe, die keinen offenen Bezug zu Gott enthielten, darunter historische Bekenntnisse, Verallgemeinerungen und spekulative Äußerungen. Und inzwischen könnten wir hinzufügen, dass ganze Religionen ohne Gott auskämen.
Wenn wir uns fragen, ob ein weltlich orientierter Humanist eine Spiritualität haben kann, lautet die Antwort zweifelsfrei Ja. So gibt es beispielsweise im Naturalismus Strömungen, die weltliche Spiritualität durchaus zulassen. Der Naturalismus als philosophische Richtung vertritt den Standpunkt, dass »die Natur alles ist« und alle grundlegenden Wahrheiten Wahrheiten der Natur seien. Bestimmte Reaktionen auf das Leben, in denen ein emotionales und ästhetisches Gemisch aus Ehrfurcht, Staunen und Gleichmut zum Ausdruck kommt, stellen eine Form von Spiritualität dar, in welcher der menschliche Geist instinktiv nach Transzendenz strebt. Solche Arten des Glaubens können religionslos sein, zum Beispiel der Glaube an ein sinnfreies Universum, in dem die physikalischen Gesetze keinen anderen Zweck als dessen Aufrechterhaltung haben. Das Universum ist buchstäblich selbst eine Gesetzmäßigkeit und existiert dabei völlig grundlos. Aus dieser Sichtweise folgt, dass unser einziger Sinn im Leben darin besteht, dass wir dessen Sinnlosigkeit und unsere eigene Stellung im Universum erkennen. Wie Religiosität erfordern solche Anschauungen Glauben, aber dieser religionslose Glaube beinhaltet radikale Offenheit und Freiheit von jeder vorgegebenen Tradition. Wie der vietnamesische buddhistische Mönch, Schriftsteller und Lyriker Thich Nhat Hanh (* 1926) riet, sollten wir »weder Götzen dienen noch einer Lehre, Theorie oder Ideologie, auch keinen buddhistischen, anhängen. Buddhistische Denksysteme sind Anleitungen, keine absoluten Wahrheiten.«
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»Ein Gott, der sich von uns beweisen ließe, wäre ein Götze.«
Dietrich Bonhoeffer (1906–1945)
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Können wir uns der Existenz Gottes je sicher sein?
In einer konventionellen Religion ist das Vertrauen auf Gottes Existenz Glaubenssache. Und in allen Religionen beinhaltet der Glaube an auch eine Beziehung zu etwas. Wenn der Glaubeeiner Person an Gott nicht auf Erfahrung mit dieser Beziehung beruht, stützt er sich auf die Autorität der Religion, also auf das, was geschrieben steht oder gelehrt wird. Jemand mag an die Lehren einer Religion glauben, aber diese beruhen auf der Autorität ihrer Traditionen. Wo immer eine Beziehung zu Gott
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