Der Fuenf-Minuten-Philosoph
konzipiert wird, ist die Gewissheit von Gottes Existenz dem Zweifel unterworfen. Wie wir gesehen haben, sind Glaube und Zweifel zwei Seiten einer Medaille. Sie müssen zusammen existieren. Voltaire verstand das Paradox: »Zweifel ist kein angenehmer Zustand, aber Gewissheit ist absurd.« In jedem Fall bleibt der Glaube an die Existenz Gottes, unabhängig von der Tiefe und Intensität der religiösen Erfahrung, immer subjektiv.
Das religiöse Schrifttum enthält gleichwohl viele Versuche, die Existenz Gottes durch Nachweise zu belegen. Der Pharao konnte die Existenz des Gottes der israelitischen Sklaven nicht mehr leugnen, als »zehn Plagen« (Ex 7, 1–11, 10) über die Ägypter hereinbrachen, damit »sie erkennen, dass ich der Herr bin« (Ex 7, 5). Von Gottes Existenz überzeugen konnten viele auch die Wunder Jesu, zum Beispiel wundersame Heilungen. Aber derlei Beweise gab es anscheinend nur in den Zeiten, auf die sich die Schriften beziehen, auch wenn manche behaupten, das »Zeitalter der Wunder« sei keineswegs zu Ende. Damian Stayne, der Begründer der katholischen Gemeinschaft Cor et Lumen Christi, ist ein zeitgenössischer Heiler, der daran glaubt, dass Gott durch ihn Wunderheilungen vollbringe: »Ich befahl den Krebsgeschwülsten im Namen Jesu zu verschwinden: Zwei Minuten nach dem Gebet war der Krebs aus seinem Mund verschwunden.« Auch konnte die Christenheit auf gelegentliche Erscheinungen von Stigmata verweisen, den Wundmalen Jesu, die auf den Händen oder Füßen von Gläubigen erschienen. Bei all diesen Wundern, die als »Beweis« für die Existenz Gottes angeführt werden, sind die Naturgesetze außer Kraft gesetzt oder es wird gegen sie verstoßen, aber gerade dies zeichnet das Mirakel ja aus.
Östliche Religionen gehen von einer anderen Prämisse aus, da sie auf keinen Schöpfergott setzen. Alle Formen der hinduistischen und buddhistischen Kunst spiegeln einen Polytheismus, die Existenz vieler Götter wider, wobei derlei Darstellungen aber als die verschiedenen Aspekte eines einzigen höchsten und völlig abstrakten Wesens begriffen werden. Nicht einmal die Inkarnationen Gottes oder des Absoluten, die vollendetste Form der göttlichen Manifestation, sind an sich ein Beweis.
Atheisten verkünden die Gewissheit, dass Gott nicht existiert – einfach deshalb, weil es für die Behauptung, dass er existiere, keinen empirischen Nachweis gibt. Gleichwohl kann man davon ausgehen, dass auch die Leugnung von Gottes Existenz ein Glaubensakt ist. Die meisten religiösen Bindungen vollziehen sich im Spannungsfeld zwischen Glauben und Zweifel. Der sri-lankische Mönch Nyanaponika Mahathera (1901–1994), ein Vertreter des Theravada-Buddhismus, gab zu bedenken, dass jede Neigung, in Glaubensdingen Gewissheit zu haben, »einer strengen Überprüfung« bedürfe. Diese »wird zeigen, dass die Gottesvorstellung in den meisten Fällen nur die Projektion des – im Allgemeinen erhabenen – Ideals des Gläubigen sowie seines glühenden Wunsches und tief empfundenen Bedürfnisses nach Glauben ist«.
Was ist ein Gebet?
Das Gebet, so heißt es, sei schlicht eine Sache des »Denkens und Dankens«. Aber diese Formel greift nicht immer. Wegen seiner festgefügten Form fließen in ein Gebet wenige Gedanken ein. Es wird mehr mit dem Mund als mit Herz und Verstand dargebracht. Allerdings kann das Denken, wie Reflexion und Kontemplation, an sich schon als Gebet wirken, als eine Ausrichtung des Geistes hin zu Gott in der Hoffnung, zumindest für einen flüchtigen Augenblick, »im Einklang mit dem Unendlichen« zu stehen, wie es der Schriftsteller und frühe Vertreter der Neugeist-Bewegung Ralph Waldo Trine (1866–1958) ausdrückte. Traditionell herrschen zwei Arten des Gebetes vor: der Lobpreis und die Fürbitte. Der Lobpreis ist ein Ausdruck der Dankbarkeit, des Staunens und der Verehrung, die Fürbitte ein Ersuchen an Gott um Erfüllung eines Wunsches, die mit dem Schlusssatz endet: »Dein Wille geschehe.« Die meisten Fürbitten sind Gesuche um Beistand und Kraft. Gebete sollen Veränderungen bewirken, aber am meisten verändern sie wohl etwas bei den Bittenden.
In den biblischen Religionen wird in Form einer Anrufung gebetet, zum Beispiel mit dem »Vaterunser«: »Vater unser, der Du bist im Himmel …« Ob diese Anrufung eine Einbahnstraße ist oder nicht, bleibt ein Geheimnis. Wir reden, und Gott hört zu, aber antwortet er auch? Mutter Teresa (1910–1997) sagte: »Gott redet in der Stille des Herzens.
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