Der fünfte Attentäter: Thriller (German Edition)

nach der Mission des Ritters gefragt«, fährt Nico fort. Er betrachtet die beiden Eichhörnchen, die sich gegenseitig um den Baum jagen. »Und jetzt willst du die Antwort nicht akzeptieren?«
    »Das heißt, alles, was du uns über … über die Ritter und den Namen Gottes erzählt hast, ist wahr?«, will Clementine wissen.
    Nico dreht sich langsam zu seiner Tochter um. Dieses schiefe Grinsen macht sich wieder auf seinem Gesicht breit. »Spielt es eine Rolle, ob es wahr ist, oder ist nur wichtig, dass der Ritter glaubt, dass es wahr ist?«
    »Deshalb also ermordet er Pastoren?«, frage ich. »Er glaubt, er erfüllt damit eine heilige Mission?«
    »Er weiß, dass er auf einer heiligen Mission ist. Warum, glaubst du, tötet er nur in Tempeln? Sieh dir seine Vorgänger an! Warum hat John Wilkes Booth sich ausgerechnet den Karfreitag ausgesucht, den heiligsten Tag im christlichen Kalender, um den König niederzustrecken? Warum hat Czolgosz ausgesagt, er habe seinen König auch an den Niagarafällen töten können, hätte es aber vorgezogen, ihn in einem Tempel zu erschießen?«
    »Augenblick mal! Lincoln war kein …«
    »Lincoln war ein König! Ebenso wie Garfield und McKinley. Und auch JFK. Sie alle waren auf dem Zenit ihrer Macht. Genau wie Wallace heute!«
    Als Nico die Stimme hebt, dreht sich der Wachposten am Zaun zu uns um, obwohl er ziemlich weit weg ist. Bei Nico gehen sie absolut kein Risiko ein. Der Wachposten beobachtet uns jetzt nicht nur, sondern hat sich in Bewegung gesetzt und kommt auf uns zu.
    Nico beugt sich nach links, als würde jemand ihm etwas ins Ohr flüstern. Das hätte ich fast vergessen. Seine imaginäre Freundin.
    »Benjamin, erinnerst du dich noch an das, was ich dir bei unserem ersten Treffen gesagt habe?«, fragt er mich schließlich.
    »Du hast gesagt, ich sei die Reinkarnation von Benedict Arnold.«
    »Nein. Ich habe dir etwas über deine Seele erzählt. Ich habe dir gesagt, dass wir alle Seelen haben und unsere Seelenmissionen erfüllen müssen. Missionen, die wir immer wieder aufs Neue unternehmen, bis wir sie schließlich vollständig erfüllt haben. Das ist der Kampf, mit dem wir es hier zu tun haben.«
    »Das hier ist also meine Mission?« Ich bin nicht überzeugt.
    »Das ist die Mission von uns allen. Von dir, von mir, vom Präsidenten. Kennst du die Theorie der Quantenverschränkung, Benjamin?« Er antwortet, bevor ich dazu komme, etwas zu sagen. »Die Wissenschaftler haben herausgefunden, dass zwei subatomare Partikel, die miteinander in Kontakt kommen, für immer miteinander verstrickt bleiben. Selbst wenn man sie trennt und man den Drall eines Atoms umkehrt, verändert das andere automatisch ebenfalls seinen Drall, ganz gleich, wo es sich befindet. Im Leben ist es dasselbe. In dem Moment, in dem du jemanden getroffen hast, bist du unlösbar mit ihm verstrickt.«
    Clementine schweigt. Ich weiß nicht, ob sie entsetzt ist oder fasziniert. Sie kann ihren Blick nicht von ihm losreißen.
    »Aus diesem Grund bin ich an den Ritter gekettet«, fährt Nico fort. »Er ist zu mir gekommen, weil er glaubte, ich sei der Ritter. Er dachte, ich sei der Auserwählte. Verstehst du? Aber es ist seine Mission!«
    »Nico, du musst leiser reden.«
    »Sieh dir die Karten an und denk an die Rollen, die Vignolles vor all diesen Jahrhunderten ausgewählt hat: König, Ritter, Knappe. Es sind immer König, Ritter, Knappe. Diese Rollen existieren bis in alle Ewigkeit, Benjamin. Sie sind für immer aneinandergekettet. KönigWallace regiert. Der Ritter tötet. Und der Knappe … Weißt du, was der Knappe tut?«
    »Der Knappe dient. Er ist der Diener.«
    »Nein. Du musst die ursprüngliche Bedeutung betrachten. Der Knappe ist der Betrüger. Er ist derjenige, der behauptet, für das Gute zu kämpfen, aber nur Dunkelheit mit sich bringt. Deshalb stirbt der Knappe immer in der Schlacht, oder aber er verursacht den Tod von anderen, Benjamin. Wenn du also von hier weggehst, wenn du versuchst, den Ritter aufzuhalten, dann … Verstehst du das denn nicht? Es ist deine Rolle, Benjamin. Du bist der Knappe. Du bist derjenige, der in der Schlacht sterben wird.«
    Eines der beiden kämpfenden Eichhörnchen bekommt das andere zu packen und schleudert es über den Schnee. Aber es richtet sich so schnell wieder auf, als wäre nichts passiert.
    »Nico, ich bin hierhergekommen, um unschuldiges Leben zu retten.«
    »Das sagst du jetzt, aber was waren die ersten Fragen, die du gestellt hast? Du wolltest alles über deinen