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Der fuenfte Berg

Der fuenfte Berg

Titel: Der fuenfte Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Coelho
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schwörst.«
    »Was immer du willst. Alles, was du willst.«
    »Du hast mir einmal gesagt, daß der Herr allgegenwärtig ist, und ich habe es geglaubt. Du sagtest, daß die Seelen nicht auf den Gipfel des Fünften Berges gingen, und ich habe es dir auch geglaubt. Aber du hast mir nicht erklärt, wohin sie gehen.
    Und dies ist der Schwur: Ihr werdet nicht um mich weinen, einer wird für den anderen sorgen, bis der Herr erlaubt, daß ein jeder seinen eigenen Weg geht. Von nun an wird sich meine Seele mit allem vereinen, was ich auf dieser Erde kennengelernt habe: Ich bin das Tal, die Berge ringsum, die Stadt, die Menschen, die durch ihre Straßen gehen. Ich bin ihre Verwundeten und ihre Bettler, ihre Soldaten, ihre Priester, ihre Kaufleute, ihre Aristokratie. Ich bin der Boden unter deinen Füßen und der Brunnen, der den Durst aller stillt.
    Weint nicht um mich, denn es gibt keinen Grund, traurig zu sein. Von nun an bin ich Akbar, und die Stadt ist schön.«
    Die Stille des Todes kam, der Wind hörte auf zu wehen. Elia hörte weder die Schreie von draußen noch das in den Nachbarhäusern prasselnde Feuer. Er hörte nur noch die fast greifbare Stille.
    Dann führte Elia den Jungen hinweg, zerriß seine Kleider und brüllte, zum Himmel gewandt, mit der ganzen Kraft seiner Lungen:
    »Mein Herr und Gott! Deinetwegen habe ich Israel verlassen und konnte Dir mein Blut nicht schenken wie die anderen Propheten, die dortgeblieben sind. Ich wurde von meinen Freunden Feigling und von meinen Feinden Verräter genannt.
    Um Deinetwillen habe ich nur gegessen, was mir der Rabe brachte, und für Dich habe ich die Wüste bis nach Akbar durchquert. Von Deiner Hand geleitet, habe ich eine Frau gefunden, von Dir geführt, hat mein Herz sie lieben gelernt. Trotzdem habe ich keinen Moment meine wahre Mission vergessen, all die Tage, die ich hier verbrachte, war ich immer bereit aufzubrechen.
    Das schöne Akbar ist nur noch ein Trümmerhaufen, und die Frau, die Du mir anvertraut hast, liegt unter ihm begraben. Wo habe ich gesündigt, Herr? In welchem Augenblick habe ich mich von dem entfernt, was Du von mir erwartetest? Wenn Du nicht mit mir zufrieden warst, warum hast Du dann nicht mich von dieser Welt genommen, statt zum zweiten Mal diejenigen in Not zu stürzen, die mir geholfen und mich geliebt haben?
    Ich begreife Deine Ratschlüsse nicht. Ich sehe keine Gerechtigkeit in Deinem Handeln. Ich kann das Leiden, das Du mir auferlegt hast, nicht ertragen. Entferne Dich aus meinem Leben, denn auch ich bin nur noch Trümmer, Feuer und Staub.«
    Da kam mitten im Feuer und in den Trümmern das Licht. Und der Engel des Herrn erschien.
    »Was tust du hier?« fragte Elia. »Siehst du nicht, daß es zu spät ist?«
    »Ich bin gekommen, um dir abermals zu sagen, daß Gott dein Gebet erhört hat und dir geben wird, worum du ihn
    bittest. Du wirst deinen Engel nicht mehr hören, und auch ich werde dich nicht mehr aufsuchen, bis die Tage deiner Prüfung vorüber sind.«
    Elia nahm den Jungen bei der Hand, und sie irrten ziellos durch die Straßen, in denen sich der Rauch staute, denn der Wind hatte sich gelegt.
    »Vielleicht ist dies alles nur ein Traum«, dachte er. »Ein einziger Alptraum.«
    »Du hast meine Mutter angelogen«, sagte der Junge. »Die Stadt ist zerstört.«
    »Na und? Wenn sie nicht sehen konnte, was um sie herum geschah, warum sollte sie dann nicht glücklich sterben?«
    »Weil sie dir vertraute und sagte, sie sei Akbar.«
    Er verletzte sich den Fuß an den Glas- und Keramikscherben, die überall auf dem Boden verstreut lagen. Der Schmerz zeigte ihm, daß er nicht träumte, daß alles um ihn herum schreckliche Wirklichkeit war. Es gelang ihnen, bis zu dem Platz zu kommen, auf dem sich einstmals - vor undenklichen Zeiten - das Volk versammelt und er geholfen hatte, Streit zu schlichten. Der Himmel leuchtete gelb vom Feuer der Brandstätten.
    »Ich will nicht, daß meine Mutter das ist, was ich sehe«, beharrte der Junge. »Du hast sie angelogen.«
    Dem Jungen gelang es, seinen Schwur zu halten. Elia sah keine einzige Träne auf seinem Gesicht. >Was mache ich nur?< dachte er. Sein Fuß blutete, und er beschloß, sich auf den Schmerz zu konzentrieren. Er würde ihn von der Verzweiflung fernhalten.
    Er sah sich die Wunde an, die das Schwert des Assyrers an seinem Körper geschlagen hatte. Sie war nicht so tief wie vermutet. Er setzte sich mit dem Jungen an denselben Platz, an dem er von den Feinden gefesselt und von einem Verräter

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