Der Fünfte Elefant
trat einige Schritte zu-
rück und schätzte die Entfernung völlig falsch ein. Jenseits des
Loches gab es einen Aufpral , der jede einzelne Rippe erschütterte
und beide Arme fest auf den Boden presste.
Zwischen Mumms Zähnen zischte ein wenig Ankh-Morpork-
Humor.
Nach einer Weile kam er wieder zu Atem, stand auf und holte
die kleine Armbrust hervor. Er zog den Auslöser und hörte, wie
sich der Bolzen in den Boden bohrte. Dann warf er die Waffe in
das Loch – sie fiel recht lange, begleitet von gelegentlichem Klap-
pern – und setzte den Weg fort, das Gesicht weiterhin der kalten
Luft zugewandt.
Dies war kein Tunnel mehr, sondern der Boden eines Schachtes.
Im grünen Glühen bemerkte Mumm etwas, das sich in der Mitte
angesammelt hatte.
Er berührte Schnee, und als er nach oben sah, schmolz eine Flo-
cke auf seinem Gesicht. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Im
Licht des Käfers zeichneten sich die Konturen einer Wendeltreppe
ab, die an den Felswänden nach oben führte.
Das Wort »Treppe« erwies sich als recht großzügige Beschrei-
bung. Beim Anlegen des Schachtes hatten die Zwerge Löcher ins
Gestein geschlagen und dicke Balken hineingetrieben. Versuchs-
weise belastete Mumm einen oder zwei mit seinem Gewicht – sie
schienen stabil genug zu sein. Wenn er vorsichtig war, sollte es ihm eigentlich gelingen, nach oben zu klettern…
Er hatte bereits eine recht große Strecke zurückgelegt, als ein
Balken brach. Aus einem Reflex heraus streckte er die Hände aus
und schaffte es, die nächste Strebe zu ergreifen. Das Holz war
glitschig, bot kaum Halt. Der Käfig mit dem Lichtkäfer fiel in die
Tiefe. Während Mumm hin und her schwang, sah er, wie das Glü-
hen immer mehr verblasste. Es schrumpfte zu einem Punkt und
verschwand dann ganz.
Unmittelbar darauf begriff er, dass er sich nicht hochziehen
konnte. Seine Finger waren taub, und der Rest seines Lebens dauerte nur noch so lange, wie sie an dem feuchten Holz nicht den Halt
verloren.
Viel eicht eine Minute.
Vermutlich gab es viele Dinge, die sich in einer Minute erledigen
ließen, aber die Auswahl wurde sehr viel kleiner, wenn man die
eigenen Hände nicht benutzen konnte, weil man über einem tiefen
Abgrund hing.
Mumm fiel.
Einen Augenblick später pral te er auf den nächsten Balken, der
sich daraufhin von der Wand verabschiedete.
Mensch und Holz fielen. Mit einem die Rippen krümmenden
Pochen knal te Mumm auf die nächste Stufe, während die anderen
in ihrer Nähe nachgaben. Er lag auf dem zitternden Balken und
hörte, wie geborstene Bestandteile der »Treppe« in die dunkle Tie-
fe fielen.
»…!« Mumm wollte fluchen, doch der Aufprall hatte ihm die
Luft aus den Lungen gepresst. Wie eine gefaltete Hose hing er auf
der Strebe.
Es war ziemlich lange her, seit er zum letzten Mal geschlafen hat-
te. Dem Erwachen auf der Steinplatte in der Zelle war kein erhol-
samer, die Kräfte erneuernder Schlaf vorangegangen, sondern Be-
wusstlosigkeit aufgrund eines wuchtigen Schlags. Nach gewöhnli-
chem Schlaf fühlte sich der eigene Mund nicht so an, als hätte je-
mand Kleister hineingeschüttet.
Erst am Morgen dieses Tages war der neue Botschafter von
Ankh-Morpork aufgebrochen, um seine Beglaubigungsschreiben
zu präsentieren. Erst am Abend dieses Tages hatte Ankh-
Morporks Polizeichef damit begonnen, einen einfachen kleinen
Diebstahl aufzuklären. Und jetzt hing er Dutzende von Metern
über dem Boden eines kalten, dunklen Schachts. Einige Zol di-
ckes, altes und brüchiges Holz trennte ihn von einer kurzen Reise
ins Jenseits.
Er konnte nur hoffen, dass er in den entscheidenden Sekunden
nicht sein ganzes Leben sah. Es gab darin einige Abschnitte, an die
er sich lieber nicht erinnern wol te.
»Ah… Sir Samuel. Wie schade. Und dabei hat alles so gut für
dich begonnen.«
Er öffnete die Augen. Mattes, purpurnes Licht von oben fiel auf
Lady Margolotta. Sie saß in der Leere.
»Kann ich dich irgendwie aufmuntern?«, fragte sie.
Mumm schüttelte benommen den Kopf.
»Wenn du dich dadurch besser fühlst: Ich mache dies wirklich
nicht gern«, sagte die Vampirin. »Es entsprach so sehr den… Er-
wartungen. Meine Güte. Der morsche Balken sieht nicht sehr…«
Holz knirschte, knackte und brach. Mumm landete auf der
nächsten Strebe, al e viere von sich gestreckt, doch unmittelbar
darauf brach sie ebenfal s, wie auch die anderen Stufen daneben.
Die ausgestreckten Hände bekamen einmal mehr einen
Weitere Kostenlose Bücher