Der Fünfte Elefant
Reaktion auf einen Notfal dürfte darin bestehen,
sich zu verstecken«, sagte der Patrizier. »Man könnte sogar be-
haupten, dass Colon selbst ein Notfall ist.«
»Mein Entschluss steht fest, Herr.«
Lord Vetinari seufzte, lehnte sich zurück und blickte einige Se-
kunden zur Decke empor.
»Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als dir für deine Dienste
zu danken, Hauptmann. Außerdem wünsche ich dir für die Zukunft viel Glück. Hast du genug Geld?«
»Ich habe recht viel gespart, Herr.«
»Trotzdem: Es ist ein weiter Weg bis nach Überwald.«
Stille folgte.
»Herr?«
»Ja?«
»Woher weißt du das?«
»Oh, bestimmte Leute haben ihn schon vor langer Zeit gemes-
sen. Forscher und so.«
»Herr!«
Vetinari seufzte. »Ich glaube, der richtige Ausdruck heißt… De-
duktion. Wie dem auch sei, Hauptmann… Ich gehe davon aus, dass du nur Sonderurlaub nimmst. Soweit ich weiß, bist du immer im
Dienst gewesen. Zweifel os hast du dir einige Wochen Ferien ver-
dient.«
Karotte schwieg.
»An deiner Stelle würde ich mit der Suche nach Feldwebel Angua
am Latschenden Tor beginnen«, fügte Vetinari hinzu.
Nach einer Weile fragte Karotte: »Geht dieser Rat auf Informati-
onen zurück, die du bekommen hast, Herr?«
Vetinari lächelte dünn. »Nein. Aber in Überwald herrscht derzeit
eine schwierige Situation, und Angua stammt aus einer der aristo-
kratischen Familien. Vermutlich wurde sie fortgerufen. Abgesehen
davon kann ich dir kaum helfen. Du musst, wie man so schön sagt,
deiner Nase folgen.«
»Vielleicht kann ich auf die Hilfe einer leistungsfähigeren Nase
zurückgreifen«, sagte Karotte.
»Gut.« Der Patrizier beugte sich vor. »Ich wünsche dir alles Gute
bei der Suche. Und ich bin sicher, dass wir uns wieder sehen wer-
den. Es gibt hier viele Leute, die sich auf dich verlassen.«
»Ja, Herr.«
»Guten Tag.«
Als Karotte gegangen war, stand Lord Vetinari auf und ging zur
anderen Seite des Zimmers – dort lag eine Karte von Überwald auf
einem Tisch. Sie war recht alt, und selbst in jüngster Zeit hatte
man ihr kaum Einzelheiten hinzufügen können: Al e Kartogra-
phen, die bekannte Wege verließen, verbrachten ihre ganze Zeit
mit dem Versuch, zu diesen zurückzukehren. Es gab einige Flüsse,
deren Verlauf Mutmaßungen überlassen blieb, hier und dort auch
einen Ort oder zumindest den Namen eines Ortes. Vermutlich war es deshalb hinzugefügt worden, um dem Kartenzeichner die Pein-lichkeit zu ersparen, überal den Hinweis VVMÜ* anzubringen, wie
es in der Branche hieß.
Die Tür öffnete sich, und Drumknott, erster Sekretär des Patri-
ziers, kam so leise wie eine Feder, die in einer Kathedrale fiel, herein.
»Eine unerwartete Entwicklung, Euer Exzel enz«, sagte er ruhig.
»Zumindest eine uncharakteristische«, erwiderte Vetinari.
»Soll ich Mumm eine Nachricht schicken, Herr? Er könnte in gut
einem Tag zurück sein.«
Vetinari blickte auf die leere Karte hinab. So ähnlich sah die Zu-
kunft aus: einige Umrisse und vage Vermutungen, doch alles ande-
re wartete darauf, Gestalt anzunehmen…
»Hmm?«, murmelte er.
»Soll ich Mumm zurückrufen, Herr?«
»Um Himmels willen, nein. Mumm in Überwald – das dürfte
amüsanter werden als ein verliebtes Gürteltier auf einer Bowling-
bahn. Und wen sonst könnte ich schicken? Nur Mumm kommt
für Überwald in Frage.«
»Aber handelt es sich nicht um einen Notfal , Herr?«
»Hmm?«
»Wie sol te man es anders nennen, Herr, wenn ein so viel ver-
sprechender junger Mann seine Karriere für die Suche nach einer
jungen Frau opfert?«
Der Patrizier strich sich über den Bart und lächelte.
Eine Linie auf der Karte verdeutlichte die Reichweite der Nach-
richtentürme. Sie war ganz gerade und repräsentierte den Intellekt
* Viele Verdammte Meilen Überwald.
in der dichten Dunkelheit vieler verdammter Meilen Überwald.
» Vielleicht ist es sogar besser so«, sagte Lord Vetinari. »Überwald kann uns eine Menge lehren. Bitte hol mir die Unterlagen über die
Werwolf-Clane. Und noch etwas; zwar habe ich geschworen, so
was nie auch nur in Erwägung zu ziehen, aber jetzt bleibt mir keine
Wahl: Bereite eine Nachricht für Feldwebel Colon vor. Leider er-
wartet ihn eine Beförderung.«
Eine schmutzige Mütze lag auf dem Pflaster. Daneben stand mit
feuchter Kreide geschrieben: BiTe häLFt disem kleINen HuND.
Ein kleiner Hund saß in der Nähe.
Die Natur hatte ihn nicht dazu bestimmt, ein
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