Der Fünfte Elefant
die Ankh-Morpork-Zeit, nicht
wahr?«
»Wie bitte?«
»Wenn die Leute sagen: ›Wir müssen mit der Zeit gehen‹, so
meinen sie in Wirklichkeit: ›Ihr müsst euch uns anpassen.‹ Es gibt Stimmen, die behaupten, Ankh-Morpork sei eine Art Vampir. Die
Stadt beißt, und durch ihren Biss wird man so wie sie. Und sie
saugt. Unsere besten Kräfte gehen nach Ankh-Morpork, um dort
in erbärmlichen Verhältnissen zu leben. Wir trocknen hier langsam
aus.«
Mumm wusste nicht, was er darauf erwidern sol te. Eins stand
fest: Die kleine, jetzt am Tisch sitzende Gestalt war wesentlich
intelligenter als er, wenn auch vor allem deshalb, weil seine eigene Intelligenz momentan nicht heller strahlte als eine Ein-Cent-Kerze.
Ihm fiel auch auf, dass der König schon seit einer ganzen Weile
nicht mehr geschlafen hatte.
Mumm beschloss, ehrlich zu sein.
»Darauf kann ich keine Antwort geben, Herr«, sagte er und griff
zu einer Variante seiner So-spreche-ich-mit-Vetinari-Methode.
»Aber…«
»Ja?«
»Ich würde mich fragen… Ich meine, wenn ich König wäre…
dann würde ich mich fragen, warum die Zwerge lieber in erbärmli-
chen Verhältnissen in Ankh-Morpork leben, als daheim zu blei-
ben… Herr.«
»Ah. Sagst du mir jetzt, wie ich denken soll?«
»Nein, Herr. Ich sage dir nur, wie ich denke. Überal in Ankh-
Morpork gibt es Zwergenkneipen, und dort hängen Bergbauin-
strumente an den Wänden, und jeden Abend trinken dort Zwerge
Bier und singen traurige Lieder darüber, wie gern sie in den Bergen
Gold schürfen würden. Aber wenn man ihnen dann sagt ›In Ord-
nung, das Stadttor steht weit offen, geht nur und schickt gelegent-
lich eine Postkarte‹, so heißt es: ›Oh, ja, am liebsten würde ich sofort aufbrechen, aber wir haben gerade die neue Werkstatt einge-
richtet. Vielleicht ziehen wir im nächsten Jahr nach Überwald.‹«
»Sie kehren in die Berge zurück, um zu sterben«, sagte der Kö-
nig.
»Sie leben in Ankh-Morpork.«
»Welchen Grund gibt es dafür, deiner Meinung nach?«
»Ich weiß es nicht. Viel eicht hat ihnen niemand erklärt, wie man
hier lebt.«
»Und jetzt wollt ihr unser Gold und Eisen«, sagte der König.
»Können wir denn nichts behalten?«
»Auch darauf weiß ich leider keine Antwort, Herr. Ich bin nicht
für diesen Job ausgebildet.«
Der König brummte etwas, und ein ganzes Stück lauter sagte er:
»Ich kann dir keine Begünstigungen anbieten, Euer Exzel enz.
Dies sind schwierige Zeiten.«
»Meine eigentliche Aufgabe besteht darin, Dinge herauszufin-
den«, sagte Mumm. »Wenn ich irgendwie helfen kann…«
Der König gab die Papiere zurück. »Deine Beglaubigungsschrei-
ben, Euer Exzel enz. Ihr Inhalt ist zur Kenntnis genommen!«
Und damit ist mir der Mund gestopft, dachte Mumm.
»Ich möchte dir noch eine Frage stel en«, fuhr der König fort.
»Ja, Herr?«
»Waren es wirklich dreißig Männer und ein Hund?«
»Nein. Es waren nur sieben Männer. Einen von ihnen habe ich
getötet, weil mir keine Wahl blieb.«
»Wie starben die anderen?«
»Äh, sie fielen den Umständen zum Opfer, Herr.«
»Na schön. Dein Geheimnis ist bei mir gut aufgehoben. Guten
Morgen, Fräulein Kleinpo.«
Grinsi wirkte verblüfft.
Der König bedachte sie mit einem kurzen Lächeln. »Ah, die
Rechte des Individuums, eine berühmte Erfindung aus Ankh-
Morpork – so heißt es jedenfalls. Danke, Dee, Seine Exzellenz
möchte jetzt gehen. Du kannst die Delegation von Kupferkopf
hereinschicken.«
Mumm verließ den Raum und sah eine weitere Gruppe von
Zwergen, die im Vorzimmer warteten. Einer oder zwei von ihnen
nickten ihm zu, als sie durch die Tür traten.
Dee wandte sich noch einmal an Mumm. »Ich hoffe, du hast
Seine Majestät nicht ermüdet.«
»Das scheint jemand anders vor mir erledigt zu haben.«
»Dies sind schlaflose Zeiten«, sagte der Ideenschmecker.
»Wurde die Steinsemmel inzwischen gefunden?«, fragte Mumm
unschuldig.
»Euer Exzel enz, wenn du auf dieser Einstel ung beharrst, müs-
sen wir uns bei Lord Vetinari über dich beschweren.«
»Er nimmt Beschwerdebriefe immer gern entgegen. Geht es hier
nach draußen?«
Mumm gab keinen weiteren Ton von sich, bis er und seine Es-
korte wieder in der Kutsche saßen und vor ihnen Tageslicht durch
das große Tor fiel.
Aus den Augenwinkeln sah er, dass Grinsi zitterte.
»Nach der Wärme da unten muss man sich erst wieder an die
kalte Luft gewöhnen, nicht wahr?«, fragte er.
Grinsi lächelte erleichtert.
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