Der fünfte Mörder
sinnlos.
»Ich werde einen Dolmetscher besorgen«, erklärte ich dem alten Mann, Wort für Wort betonend. »Es wäre schön, wenn Sie sich zur Verfügung halten würden, damit wir das Gespräch morgen fortsetzen können.«
»Verfügung gut«, erwiderte er strahlend. »Gerne reden mit deutsch Polizei. Polizei in Bulgaria â¦Â« Er tat, als würde er auf den Boden spucken, und reichte mir mit breitem Lächeln seine wulstige Bauernhand.
Sekunden nachdem er durch die Tür war, entdeckte ich, dass er seine Papiere vergessen hatte. Ich lief hinaus auf den Flur und rief seinen Namen. Aber niemand antwortete. Ich lief die Treppe hinunter, konnte Schivkov jedoch nirgendwo entdecken. So schnell konnte er eigentlich angesichts seiner Gehbehinderung gar nicht sein. Aber niemand, den ich traf, wollte ihn gesehen haben. Beide Aufzüge standen mit offenen Türen im Erdgeschoss. SchlieÃlich fragte ich die blonde Kollegin an der Pforte. Angeblich hatte in den letzten Minuten niemand das Haus verlassen.
»Das ist der alte Mann, der vorhin mit dem groÃen jungen zu Ihnen gewollt hat, nicht wahr?«, fragte sie.
»Genau der.«
»Die Treppe wird er nicht genommen haben, so schlecht, wie der zu Fuà ist.« Sie überlegte mit runden Augen. »Vielleicht hat er noch aufs Klo müssen, oder hat sich im Haus verlaufen?«
Im Grunde konnte mir das ja gleichgültig sein.
»Falls er vorbeikommt, dann geben Sie ihm bitte das hier. Er hat es bei mir vergessen.«
Ich schob Schivkovs Papiere unter der Sicherheitsglasscheibe hindurch und stieg die Treppen hinauf. Als ich meine Bürotür öffnete, sang die Amsel wieder.
Noch einmal wählte ich Kollischs Nummer. Dieses Mal war der Leiter des Sittendezernats von Beginn an freundlich. Ich dagegen weniger.
»Wie kommt es eigentlich, dass dieser alte Bulgare mitten in der Stadt ein Bordell betreibt und Sie nicht einschreiten?«
»Das ist doch gerade sein Trick, Herr Kriminaloberrat: dass das gar kein Puff ist. Der Alte vermietet Zimmer an junge Frauen, das ist nicht verboten. Die studieren und jobben nebenbei in seinem Lokal. Dass er ein bisschen viele und noch dazu ausgesucht hübsche Bedienungen beschäftigt, kann man ihm auch nicht verbieten. Dass die Miete sich gewaschen hat, ist seine Sache. Seine Mädels sind volljährig. Die dürfen Miete zahlen, so viel sie wollen, und schlafen, mit wem sie wollen und so oft sie wollen. Und wenn ihr Stecher anschlieÃend einen Hunderter auf dem Nachttischchen liegen lässt, dann ist das sein Problem und nicht meins. Tut mir leid, Herr Kriminaloberrat.«
Leider hatte er vollkommen recht. Es war praktisch unmöglich, der illegalen Prostitution Herr zu werden. Selbst wenn wir eine der Damen dabei ertappen sollten, wie sie von einem Freier ihren Liebeslohn entgegennahm, war nichts gewonnen. Niemand konnte einen Mann daran hindern, einer Frau Geschenke zu machen. Und niemand konnte es einer Frau verbieten, Geschenke anzunehmen. Selbst in offensichtlichen Fällen von Zwangsprostitution war es in der Vergangenheit vorgekommen, dass die Bordellbetreiber am Ende nur wegen Hinterziehung von Sozialabgaben oder ähnlichen Nebensächlichkeiten verurteilt wurden.
Eine Spur freundlicher fuhr ich fort: »Weshalb ich Sie eigentlich sprechen wollte: Halten Sie es nicht doch für denkbar, dass wir es hier mit einem beginnenden Revierkrieg zu tun haben?«
»Für denkbar halte ich alles. Aber den Rumänen mit ihren Flatrate-Puffs haben wir in den vergangenen Jahren den Strom abgedreht. Die haben im Moment andere Sorgen. Die Russenmafia hat sich in den letzten Jahren eher aufs Nobelgeschäft verlegt. Da ist alles legal und sauber, und natürlich kann man wesentlich mehr Kohle abziehen. Da sind die Klos besser geputzt als in manchem Restaurant. Denen dürfte der Bulgare also ziemlich egal sein.«
»Es könnte ums Prinzip gehen.«
»Sie meinen, nach dem Motto: In meinem Revier macht mir ohne meine Erlaubnis niemand ungestraft Konkurrenz?«
»Ungefähr so, ja. Gibt es einen Namen, der Ihnen in diesem Zusammenhang einfällt?«
»Kopf von dem Russenclan ist früher ein gewisser Lebedev gewesen. Aber der ist vorletztes Jahr ums Leben gekommen. Seither ist seine Witwe am Drücker.«
»Dobrev ist eine absolute Null«, berichtete mir Klara Vangelis kurze Zeit später. »Bevor der Alte hier aufgekreuzt ist,
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