Der fünfte Mörder
davon wirkte ungewöhnlich oder gar interessant. Noch stand der Cayenne unbeschädigt am äuÃersten linken Bildrand, und keiner der Vorbeigehenden warf auch nur einen Blick darauf. Dann parkte ein alter Peugeot-Kombi am oberen Bildrand ein. Ich durfte mir selbst beim ungeschickten Herumkurven zusehen, wie ich den groÃen Wagen endlich doch in die Parklücke brachte, ausstieg, einige Schritte auf die Kamera zuging, mir an den Kopf fasste und kehrtmachte.
In dem Moment, als ich die Tür meines Wagens öffnete, um die vergessene Brieftasche herauszunehmen, wackelte das Bild, und im nächsten Augenblick sah die Kamera nichts mehr auÃer Rauch und Staub.
»In der Zeit, die wir jetzt gesehen haben«, sagte Vangelis mit schmalen Augen, »war das eben der erste Moment, in dem niemand näher als zehn Meter an dem Wagen dran war.«
»Sehen wir uns das Video von der zweiten Kamera an.«
Sie drückte eine Taste, und der nächste Film startete, der die Szene nun genau entgegen der Blickrichtung der ersten Kamera zeigte. Nun stand der Geländewagen am rechten Bildrand. Dieselben Passanten, der Riesenhund, die Apothekenkunden, der junge Mann mit der groÃen Katze, schlieÃlich ich selbst mit aus dieser Perspektive erschreckend weit fortgeschrittener Stirnglatze. Und wieder die stumme Explosion.
»Haben Sie irgendwas entdeckt?«, fragte Vangelis und reckte sich. »Dummerweise kann man wegen des Qualms nicht erkennen, was anschlieÃend passiert.«
Sie drehte sich in ihrem Bürostuhl zu mir um, legte die Spitzen ihrer Zeigefinger an die Nase und sah zu mir auf.
»Können Sie selbst sich denn an nichts erinnern? Sie sind der einzige Zeuge, mit dem ich noch nicht gesprochen habe.«
Ich zog Balkes verwaisten Stuhl heran und setzte mich.
»Wenn ich etwas gesehen hätte, dann wüssten Sie es natürlich längst«, erwiderte ich leicht gekränkt.
Sie nahm die Fingerspitzen von der Nase. »Sie haben eingeparkt«, sagte sie so geduldig, als wäre ich ein begriffsstutziger Zeuge mit Erinnerungsstörungen. »Sie sind ausgestiegen und auf den Cayenne zugegangen â¦Â«
»Das haben wir ja eben alles lang und breit im Fernsehen beobachtet«, versetzte ich.
»Und nach dem Knall? Was war da?«
Ich stützte die Ellbogen auf die Knie, betrachtete den längst renovierungsbedürftigen FuÃbodenbelag aus grauem Kunststoff.
»Erst mal war ich zu Tode erschrocken, habe nur Qualm gesehen. Dann hat es angefangen zu brennen. Ich habe meinen Feuerlöscher aus dem Auto geholt und versucht, zu löschen. Beim besten Willen ⦠Ich kann mich an den Knall erinnern, an den Brand und später an den Kerl mit der Glatze, der über der Bank wohnt. Seine Aussage haben Sie in den Akten.«
»Vielleicht sollten wir sämtliche Zeugen ein zweites Mal vernehmen«, überlegte sie. »Gleich heute. Noch ist die Erinnerung frisch.«
Ich sah auf die Uhr. Es war halb sieben Uhr am Abend.
»Das wird eng«, sagte ich.
»Wir müssen es versuchen«, erwiderte sie trotzig. »Heute ist Sonntag, die Leute sind zu Hause. Und mit jeder Stunde, die wir länger warten, sinken unsere Chancen.«
»Siderov«, sagte ich.
Sie hatte sich schon wieder dem Aufzeichnungsgerät zugewandt und begonnen, die Kabel abzuziehen. »Wer?«
»Dieser bulgarische Student. Er war am Tatort. Er hat die ganze Zeit in die richtige Richtung gesehen. Ich habe ihn gefragt, ob er vor dem Knall etwas beobachtet hat. Ich habe ihn leider nicht gefragt, was später war.«
9
Zurück in meinem Büro wählte ich die Nummer von Julia Södergren. Man saà gerade gemütlich beim Tee und verstand sich prächtig. Ich bat sie, ihren Gast zu fragen, was er in den Sekunden nach der Explosion beobachtet hatte.
Die Antwort kam fast sofort. Sie war kurz und eindeutig: »Nichts. Roman hat sich so erschrocken, dass er nur noch einen Gedanken hatte: Fort, so rasch wie möglich. Moment ⦠Beinahe wäre er vor Schreck unter ein Auto gelaufen, sagt er.«
»Ein Auto?«, fragte ich wachsam. »Was für eines denn?«
Dieses Mal dauerte der Wortwechsel im Hintergrund lange. Ich hörte die beiden lachen. Sollte Roman Siderov etwa auf ganz unerwartetem Weg doch noch sein Liebesglück in Heidelberg gefunden haben?
»Ein kleiner Opel oder ein Ford«, sagte Julia Södergren dann. »Er ist von der Seite gekommen, wo
Weitere Kostenlose Bücher