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Der fünfte Mörder

Titel: Der fünfte Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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das brennende Auto war, so wie Roman mir die Szene aufgemalt hat. Der Fahrer hat es sehr eilig gehabt, sagt er.«
    Â»Ein Mann, demnach? Die Farbe des Wagens? Dunkel, hell, weiß, schwarz?«
    Wieder wurde diskutiert. Der Opel oder Ford war eher neu gewesen und eher dunkel als hell. Der Fahrer eventuell auch eine Frau.
    Â»Schmutzig war er.«
    Â»Der Fahrer?«
    Julia Södergren kugelte sich vor Lachen. »Aber nein, der Wagen. Fast so schmutzig wie die meisten Autos in Bulgarien.« Und dann, so beiläufig, dass es mir um ein Haar entgangen wäre: »An Romans Jeans ist sogar noch Schmutz von der Stoßstange, haben wir eben entdeckt.«
    Ich eröffnete der Studentin der Slawistik, dass in Kürze die Polizei an ihrer Tür klingeln würde, um die Jeans ihres Gastes umgehend ins Labor zu befördern.
    Â»Können Sie ihrem Schützling was zum Anziehen borgen? Oder soll ich mich um Ersatz kümmern?«
    Sie gluckste. »Der kriegt meinen Bademantel, danke. Das geht schon.«
    Kaum hatte ich aufgelegt, klingelte mein Telefon.
    Â»Södergren noch mal«, sagte die Studentin aufgeregt. »Roman ist sich auf einmal sicher, dass am Steuer doch eine Frau gewesen ist. Blond, sagt er. Sehr blond. Die Haare so kurz wie bei einem Mann.«
    Â»Weshalb ist er sich jetzt auf einmal so sicher?«
    Â»Die Brüste.« Dieses Mal lachte sie nicht. »Sie hat eine weiße Bluse angehabt, und die stand für seinen Geschmack zu weit offen. Diese orthodoxen Christen auf dem Balkan sind anscheinend noch prüder als die protestantischen Betschwestern bei uns oben in Oldenburg.«
    Kein Wunder, dass der Bursche sich nicht an die Farbe des Wagens erinnern konnte, dachte ich, als ich den Hörer zum zweiten Mal auflegte.
    Ich informierte Vangelis, und während ich sprach, fiel mir die junge Frau wieder ein. Nur zwei Schritte von mir entfernt hatte sie gestanden, vor dem Zigarettenautomaten. Blond war sie gewesen, weißblond. Ihr Haar war kurz geschnitten gewesen, die weiße Bluse … Wie hatte ich die vergessen können?
    Und nach der Explosion hatte sie offenbar nichts Eiligeres zu tun gehabt, als in ihren Wagen zu springen und davonzufahren. Vangelis ging ihre Listen durch. Eine junge blonde Frau stand nicht darauf.
    Â»Die müssten doch auch andere gesehen haben«, überlegte ich. »Eine schöne Frau mit freizügig geknöpfter Bluse fällt doch auf.«
    Ich hörte Papier rascheln. »Nein«, sagte Vangelis. »Von dieser Frau steht hier nichts. Aber ich werde die Zeugen sicherheitshalber noch mal befragen.«
    Â»Tun Sie das. Irgendwer müsste auch ihren Wagen gesehen haben. Hat denn niemand sonst einen schmutzigen Kleinwagen erwähnt?«
    Â»Herr Gerlach«, seufzte sie, »nicht nur Sie standen in diesem Moment unter Schock. Wir haben sehr gründlich und sehr ausführlich mit allen Zeugen gesprochen. Aber ich werde natürlich gerne noch einmal alle Protokolle durchgehen, sobald ich Zeit dazu habe.«
    Ich ging ihr auf die Nerven. Ein Chef, der alles besser wusste, selbst aber nicht imstande war, sich an eine Frau zu erinnern, die so nah neben ihm gestanden hatte, dass er sie fast mit der Hand hätte erreichen können. Ich nahm mir vor, ihr bei nächster Gelegenheit einen Espresso und ein paar nette Worte zu spendieren. In den frühen Phasen einer Ermittlung sind kleinere oder auch größere Verstimmungen nahezu unvermeidlich. Ich stelle mir das vor wie bei einem Operationsteam während eines lebensrettenden Eingriffs. Da sagt auch niemand: »Hätten Sie bitte die Freundlichkeit, mir einen frischen Tupfer zu reichen?«
    Wo eilig gehobelt wird, da fallen hin und wieder grobe Worte.

    Eine Stunde später wussten wir schon etwas mehr über die Frau mit dem schmutzigen Kleinwagen. Soweit erreichbar, waren alle Zeugen inzwischen noch einmal kontaktiert und befragt worden. Drei Personen meinten immerhin, sich an die Frau zu erinnern. Ein pensionierter Oberstudienrat beschrieb sie auffallend detailliert. Vor allem die Bluse. Eine Studentin, die im Moment der Explosion gähnend aus ihrem Schlafzimmerfenster gesehen und überlegt hatte, ob sie sich zur Feier des Frühlings eine Pizza gönnen sollte, wusste weniger über die Bluse unserer Unbekannten zu berichten, erinnerte sich dafür umso genauer an eine schwarze, elegant geschnittene Tuchhose und fürs Autofahren eindeutig zu hohe Schuhe.

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