Der fünfte Mörder
Polizeidirektion bei der Vernehmung verschreckter Bulgaren aushalf, studierte sie an der Universität Slawische Philologie im achten Semester.
Auch Roman Siderov war Student, gestand er mit hartnäckig gesenktem Blick und leiser Stimme. Er studierte in Sofia Geschichte und Philosophie, wenn er sich nicht gerade in Heidelberg festnehmen lieÃ.
»Was wollten Sie vor dem Bella Napoli?«, lautete meine erste Frage. Julia Södergren übersetzte mit sonniger Liebenswürdigkeit. Siderov antwortete einsilbig.
»Er willâs nicht sagen. Scheint ihm irgendwie peinlich zu sein.«
»Sagen Sie ihm, er wird in die Hölle kommen, wenn er nicht redet. Sagen Sie ihm, dass ich furchtbar schlechte Laune habe und die deutsche Polizei die schrecklichsten Gefängnisse der Welt.«
Sie lachte hell, übersetzte, und daraufhin sagte Siderov gar nichts mehr.
»Ich denke, es geht um eine Frau«, meinte die Dolmetscherin nach einigen weiteren vergeblichen Anläufen. »Ich denke, der Arme ist verliebt.«
»Verliebt?«
»Gucken Sie ihn sich doch an!«
Und so war es dann auch.
Es kostete die Ãbersetzerin ihre sämtlichen Ãberredungskünste und eine Menge psychologisches Geschick, bis es heraus war: Mein längst nicht mehr Verdächtiger hatte sich unsterblich in eine gewisse Nikolina verliebt, eine Kommilitonin und nach seiner Beschreibung zweifellos die schönste Frau zwischen dem Balkangebirge und dem Bosporus. Fast hatte sie ihn erhört, man hatte schon miteinander gesprochen, einen Kaffee zusammen getrunken, sich zart an der Schulter berührt und tief in die Augen gesehen, und dann â eines Tages vor sechs Wochen â war Nikolina plötzlich verschwunden.
Der verliebte Student hatte keine Mühe und kein Risiko gescheut, seine Angebetete wiederzufinden. Anfangs hatte er befürchtet, sie sei entführt worden, vielleicht sogar von ihrer eigenen Familie, die auf dem Land lebte und in gewissen Dingen wohl ein wenig konservativ dachte.
Dort hatte er zunächst auf Granit gebissen. Am Ende hatte jedoch Nikolinas Mutter Mitleid mit ihm gehabt und ihm verraten, seine groÃe Liebe sei für einige Zeit verreist, um ihr Studium in einer fernen deutschen Stadt namens Heidelberg fortzusetzen.
Roman Siderov hatte sich auf den Weg gemacht, war praktisch ohne Geld und auf abenteuerlichsten Wegen und Umwegen wider alle Erwartung wohlbehalten in Heidelberg angekommen. GroÃe Strecken war er per Anhalter in Lkws mitgefahren, einiges auch als Schwarzfahrer per Bahn, hin und wieder war er kilometerlang zu Fuà an Autobahnen entlanggetrabt. Aber er hatte es geschafft, war unterwegs weder verhungert noch verloren gegangen, hatte sein Ziel erreicht und seine angebetete Schöne nach tagelanger Sucherei endlich wiedergesehen.
Allerdings nicht an der Universität, sondern in einem Bordell.
Natürlich hatte sie ihn gleich am ersten Tag entdeckt, zur Rede gestellt und ihm mit jener Grausamkeit den Kopf gewaschen, zu der nur Frauen in der Lage sind. Dennoch hatte er mit jenem Mangel an Realitätssinn, wie ihn wohl nur Männer aufbringen können, weiterhin Tag für Tag vor dem Bella Napoli gestanden, in der Hoffnung, wenigstens hin und wieder einen Blick auf seine Nikolina zu erhaschen. Und nun saà er hier, im kahlen Vernehmungszimmer der Heidelberger Polizeidirektion, heulte sich die Seele aus dem Leib und verbrauchte nach und nach meinen kompletten Vorrat an Papiertaschentüchern.
Die Ãbersetzerin half nach Kräften, den armen Kerl zu beruhigen, ich spendierte Kaffee und vier belegte Brötchen aus der Kantine, die Siderov mit HeiÃhunger verschlang. Er hustete und schniefte noch ein wenig, und dann konnte man endlich mit ihm reden. Viel kam allerdings nicht dabei heraus. Meine Hoffnung, er könnte in den Tagen und Stunden vor dem Anschlag etwas beobachtet haben, was mir weiterhalf, erfüllte sich nicht.
»Alles ganz normal, sagt er«, erklärte mir die mit unverwüstlicher Sonntagslaune gesegnete Ãbersetzerin. »Alles ruhig, alles wie immer. Nikolina hat morgens um zehn nach elf ihren Dienst angetreten und ist wie immer gegen Mitternacht nach Hause gegangen. Das heiÃt, in die WG an der Plöck, wo sie ein Dachzimmerchen hat. In ihrem ⦠ähem ⦠Arbeitszimmer mag sie wohl nicht schlafen.«
»Irgendwelche Anzeichen von Nervosität bei den Bulgaren?«
Kurzes Geplapper.
»Nein, sagt er. Alles wie
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