Der fünfte Mörder
gutes Motto für den Abend, fand ich.
Mit den FüÃen auf dem Couchtisch lieà ich mir mein karges Abendessen schmecken. Die Musik tat gut, der Wein seine Wirkung. Allmählich kamen meine Nerven zur Ruhe. Ich nahm Theresas Buch wieder zur Hand. Von allen Figuren, die im Text eine Rolle spielten, waren zeitgenössische Porträts abgedruckt. Beim Anblick der meisten Fürstinnen und Herzoginnen und Markgräfinnen verstand ich ihre untreuen Ehegatten sofort. Der nicht weniger hässliche Heidelberger Kurfürst Karl Ludwig (1617âââ1680) zeugte mit seiner schönen Geliebten Luise von Degenfeld (1634âââ1677) nicht weniger als dreizehn Kinder, obwohl er rechtlich immer noch mit seiner Charlotte von Hessen-Kassel (1627âââ1686) verheiratet war.
Liebekind hatte recht: Theresa schrieb amüsant, ohne dabei auf historische Genauigkeit zu verzichten. Es fing an, mir Spaà zu machen.
Bei Seite siebenundzwanzig begann irgendwo in der Wohnung das Telefon zu quengeln. Nach längerem Suchen fand ich es in Louises Zimmer unter einem Berg auf dem Bett verstreuter T-Shirts. Inzwischen hatte es sich natürlich längst wieder beruhigt. Ich nahm es mit ins Wohnzimmer. Eine halbe Minute später meldete es sich erneut.
»Bertram hier«, sagte eine Frauenstimme, die mir bekannt vorkam. »Bitte entschuldigen Sie die Störung zu so später Stunde. Ich müsste dringend ein paar Takte mit meinem Töchterchen reden.«
»Ihre Tochter?« Ich begann, Fürchterliches zu ahnen.
»Silke ist doch bei Ihnen?«
»Nein. Leider.«
»Sie sind aber schon der Vater von Sarah und Louise?«
Wir diskutierten eine Weile den Unterschied zwischen Lüge und gezielt herbeigeführtem Missverständnis. »Sind bei Silke« bedeutete ja keineswegs, dass meine Töchter bei ihr zu Hause waren, obwohl ich natürlich genau das hatte glauben sollen.
Frau Bertram sprach von Hausarrest und Taschengeldentzug. Ich dagegen hatte mir vorgenommen, mich heute über nichts mehr aufzuregen, und es gelang mir beinah. Auch Silkes Noten waren in diesem Halbjahr zum Weinen. Wir bemitleideten uns ein wenig gegenseitig und verabschiedeten uns im Einvernehmen darüber, dass das Leben im Allgemeinen schwer war und Kinder die zugleich aufregendste und schönste Katastrophe, die es zu bieten hatte. Immer noch waren die Handys meiner unehrlichen Töchter ausgeschaltet. Zum zweiten Mal versuchte ich, wach zu bleiben, bis sie nach Hause kamen, und wieder gelang es mir nicht. Gegen zwölf kam ich aus dem Gähnen nicht mehr heraus und nickte immer öfter ein. SchlieÃlich gab ich auf und ging zu Bett.
In dieser Nacht gaben sich die beiden enorme Mühe, leise zu sein.
Am Montagmorgen sah meine Küche aus wie am Abend zuvor, und ich beschloss, im Büro zu frühstücken. DrauÃen schien die Sonne und blühten die Bäume, und ich verspürte nicht die geringste Lust, mir den schönen Tag gleich zu Beginn mit erzieherischen MaÃnahmen zu verderben. Zur Schnecke machen konnte ich die beiden ebenso gut am Abend. Heute war Feiertag, der erste Mai, die StraÃen waren noch leer, als ich um halb neun durch die schöne Heidelberger Weststadt schlenderte und den Vögeln beim Jubeln zuhörte.
Gegenüber der Polizeidirektion gab es eine kleine Bäckerei, die auch an Sonn- und Feiertagen morgens für einige Stunden geöffnet hatte, Kaffee gab es im Büro.
Kurze Zeit später betrat ich mit meiner Bäckertüte in der Hand die Direktion und fand sie, wie am Tag zuvor, erfreulich ruhig. Auch in der vergangenen Nacht war nichts Erwähnenswertes vorgefallen. Vielleicht hatten die Gemüter sich schon ein wenig abgekühlt? Vielleicht hatte man telefoniert und das Kriegsbeil im Neckar versenkt? Die Telefonüberwachung berichtete leider nichts, was meine Hoffnung stützte. Andererseits hatte Balke natürlich recht, es gab Handys, es gab E -Mails, und unsere Gegner waren uns, was die Technik betraf, meist um mehrere Nasenlängen voraus. Möglicherweise wartete man auch nur ab, bis die Polizei mit ihren lästigen Streifenwagen die Lust verlor, einem ständig über die FüÃe zu fahren. Auch der Russin dürfte klar sein, dass ich den massiven Einsatz an Fahrzeugen und Personal nicht lange würde aufrechterhalten können.
Auf der Treppe lief mir Sven Balke über den Weg. Er wirkte frisch und
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