Der fünfte Mörder
Anna Rossini fest. »Sie sind sicher, dass der von uns war?«
»Könnte es sein, dass Ihre Liste nicht vollständig ist?«
Ihre Antwort kam eine winzige Spur zu zögernd. »No«, sagte sie dann. »Das kann eigentlich nicht sein. Nein.«
Eigentlich.
»Könnten Sie mir eine Liste aller Personen machen, die vorgestern Dienst hatten?«
»Ist schon unterwegs.«
Tatsächlich kam die Liste wenige Augenblicke später. Ich leitete sie unbesehen an Klara Vangelis weiter mit der Bitte, jede der acht Personen zu kontaktieren.
Als das erledigt war, klingelte mein Telefon erneut. Noch einmal Anna Rossini.
»Mir ist eben noch was eingefallen. Manche Fahrer kaufen uns die Rucksäcke ab, wenn sie aufhören. Oder melden sie als gestohlen, weil sie sie kultig finden und sie absolut wasserdicht sind.«
»Und Sie haben nichts dagegen, wenn die mit Ihren Firmenrucksäcken spazieren fahren?«
»Warum sollten wir? Die machen schlieÃlich Werbung für uns.«
Nachdem ich aufgelegt hatte, las ich endlich Theresas SMS .
»Du meldest dich nicht. Schade.«
Kein GruÃ, kein Kuss.
Ich schrieb zurück, ich sei gerade unter einem Berg Arbeit begraben, was zwar ein klein wenig gelogen war, aber immer eine gute Ausrede.
»Du hast recht, wir müssen reden«, fügte ich hinzu. »Aber heute geht es nicht. AuÃerdem muss ich mich erst sortieren.«
Sie antwortete postwendend: »Ist es, weil verbotene Früchte nicht mehr schmecken, wenn sie plötzlich erlaubt sind?«
»Unsinn«, schrieb ich zurück. »Ich fühle mich â¦Â«
Ja, wie fühlte ich mich? Verschaukelt? Betrogen? Hintergangen?
Mein Problem war, ich wusste es nicht. Was ich wusste: Ich wollte sie nicht sehen. Nicht jetzt. Nicht heute.
Ich löschte die letzten drei Worte und schrieb stattdessen: »Gib mir Zeit. Ich melde mich. Versprochen.«
Sie antwortete nicht.
11
Klara Vangelis telefonierte sich an diesem Nachmittag erfolglos die Finger wund. Wir fanden den Fahrradkurier nicht. Sieben der acht Kuriere auf Anna Rossinis Liste waren Studenten oder Studentinnen, hatten Handys und waren deshalb rasch abgehakt. Der achte schien weder zu studieren noch sonst irgendeiner geregelten Beschäftigung nachzugehen. Es kostete Vangelis drei wertvolle und frustrierende Stunden, um herauszufinden, dass Benjamin Kopp sich als Künstler fühlte, einen streng alternativen Lebensstil pflegte und technischen Dingen aus prinzipiellen Erwägungen abgeneigt war, soweit sie nichts mit Fahrrädern zu tun hatten natürlich. Das Heidelberger Meldeamt hatte seinen Namen nie gehört. Einen festen Wohnsitz schien er nicht zu haben.
Der Fahrer des verunglückten Audi, Piotr Voronin, war inzwischen bei Bewusstsein, erfuhr ich zwischendurch. Die Ãrzte waren jetzt überzeugt, dass sie ihn durchbringen würden.
Um halb fünf beschloss ich, Feierabend zu machen und endlich das zu tun, wovor ich mich schon seit gestern drückte: über Theresa und mich nachzudenken. Und meinen Töchtern ins Gewissen zu reden. Und in Theresas Buch zu lesen. Auf den dritten Teil freute ich mich sogar.
Was mir ein wenig auf den Magen drückte, war die Pressekonferenz, die am nächsten Vormittag drohte. Während des Wochenendes hatte an dieser Front erfreuliche Ruhe geherrscht. Das würde sich morgen ändern. Ein Zuhälterkrieg mitten im romantischen Heidelberg â selbst mit Fragezeichen versehen, versprachen die Schlagzeilen Auflage. Eine mysteriöse Wasserleiche mit einem Einschussloch zwischen den Augen und ein Mordanschlag auf der A  5 â welcher Journalist bekam keine glänzenden Augen bei solchen Meldungen?
Andererseits lag das Schlimmste vielleicht schon hinter uns. Die Telefonüberwachung der Russen meldete immer noch Funkstille. Die beiden Bulgaren hielten sich versteckt oder waren längst in den Wäldern ihrer Heimat untergetaucht. Und was war im Grunde schon geschehen? Ein alter Zuhälter und Waffenschmuggler besaà seit Samstag ein Auto weniger, ein wohlhabender Apotheker würde sich mit seiner Versicherung herumärgern, ein Stückchen StraÃenbelag musste ausgebessert werden. Den Mord und den Mordversuch würden wir aufklären, da war ich mir sicher. Früher oder später würde sich jemand melden, der den Toten im Neckar gekannt hatte. Irgendwann würden wir das Motorrad finden, von dem vermutlich der Schuss abgegeben
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