Der fünfte Mörder
Menschen trinken können â¦Â«
Sie fischte Block und Bleistift aus einer Schublade und begann, mit geübten Bewegungen eine Skizze zu zeichnen. Dabei hatte sie den Kragen ihres Morgenmantels losgelassen, und er war ein wenig auseinandergerutscht. Sie schien nichts darunter zu tragen.
Inga Wolff war eine gute Beobachterin, stellte ich in den nächsten Minuten fest, und sie trug wirklich nichts unter ihrem Bademantel.
»Hier bin ich gewesen, Nummer 43, zweiter Stock. Den Namen des Herrn kann ich mir nicht merken.« Sie sah kurz auf. »Irgendwas mit âºKosâ¹ am Anfang und âºkyâ¹ am Ende.« Sie wandte sich wieder ihrer Zeichnung zu. »Ich komme also aus der Haustür, sehe gegenüber den Zigarettenautomaten, gehe zwischen zwei Autos durch â¦Â«
»Hat jemand in den Autos gesessen?«
»Rechts, das war ein Lieferwagen, ein dunkelblauer. Da kann ich nicht sagen, ob einer drinsaÃ, den hab ich ja nur von hinten gesehen. Links, das war ein uralter Golf. Da hat niemand dringesessen. Dann ist noch eine StraÃenbahn gekommen, aus der Stadt, und dann konnte ich über die StraÃe. Auf der anderen Seite hat mein Autochen gestanden, und direkt davor hat irgend so eine Knalltüte eingeparkt, die nicht Auto fahren konnte. Das war einer von diesen alten französischen Riesenkombis.«
»Die Knalltüte war ich.«
»Ups!« Erschrocken sah sie mich an. Plötzlich mussten wir beide lachen. Sie schenkte Kaffee nach.
»Jedenfalls steh ich da am Automaten«, fuhr sie fort, nachdem die Tassen wieder gefüllt waren, »und suche in meiner Börse nach Münzen, und auf einmal kracht es und alles wackelt, dass ich denke, die Welt geht unter. Erst war ich wie gelähmt, und dann habe ich gedacht, jetzt kommt gleich Polizei, und dann wollen die natürlich wissen, wo du warst, und in der nächsten Sekunde habe ich schon im Auto gesessen. Um ein Haar hätte ich noch wen überfahren. Einen jungen Kerl. Der war mindestens so geschockt wie ich. Ganz blass ist der gewesen. Wie ich auch, vermute ich mal.«
»Können Sie sich erinnern, ob kurz vor oder nach Ihnen ein anderes Auto weggefahren ist?«
Erst zögernd, dann überzeugt schüttelte sie den Kopf mit den noch ungekämmten, im Morgensonnenlicht rötlich schimmernden Locken.
»Da war nur ⦠Moment ⦠ja, ein Fahrradkurier ist da gewesen. Wo der hergekommen ist, kann ich nicht sagen. Auf einmal war er da, ist vor mir auf die StraÃe gebrettert und losgezischt. Die sind ja in der Stadt viel schneller als die Autos, wenn sie es drauf anlegen. Wie der Blitz ist der davon.«
Ich war mir sicher, dass auch dieser rasende Fahrradkurier nicht auf Vangelisâ Zeugenliste stand.
»Können Sie den Mann beschreiben?«
»Oje!« Ihre kleine Nase wurde kraus beim Nachdenken. »Groà war der. Kräftig. Braune Beine. Ein knallrotes Shirt hat er angehabt und einen gelb-blauen Rucksack. Ich hab solche schon öfter gesehen. Die gehören alle zur selben Firma. Irgendwas mit âºRadâ¹.«
»Sie haben ihn aber nur von hinten gesehen, oder?«
»Den sollten Sie trotzdem finden. Die werden ja wohl so was wie eine Buchführung haben.«
Ich leerte meine Tasse und lehnte eine dritte dankend ab. Wir plauderten noch ein wenig über die Minuten vor und nach der Explosion. Aber sie hatte alles gesagt, was sie wusste.
»Passen Sie auf, dass Sie bei Ihrem kleinen Nebenverdienst nicht mal an die falschen Kunden geraten«, sagte ich, als ich ihr zum Abschied mein Kärtchen überreichte. Inzwischen hielt ihre Linke wieder den Morgenmantel zu.
Dieses Mal lachte sie laut. Es war ein sympathisches, offenes Lachen.
»Keine Sorge, seit vorgestern ist Schluss mit Nebenverdienst. Im wirklichen Leben bin ich Pfarramtssekretärin. Was denken Sie wohl, was los wäre, wenn das bekannt würde? Und wenn Sie jetzt fragen, ob ich das nötig habe â ich verrate Ihnen lieber nicht, was am Monatsanfang auf meinem Konto ist. Sonst haben Sie den Rest des Tages Mitleid mit mir.«
Als ich wieder im Wagen saÃ, warf ich einen Blick auf mein Handy. Neue Nachricht von Theresa: »Es kann der Anfang vom Ende unserer Liebe sein oder das Ende des Anfangs. Wir müssen reden. Ich liebe dich.«
Das Ende des Anfangs.
Fühlte es sich so an?
Ich beschloss, erst gründlich nachzudenken, bevor ich antwortete, und lieà den Motor an. Ich musste
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