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Der fünfte Mörder

Titel: Der fünfte Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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sie erst gar nicht glauben. Ich versuchte, ihnen klarzumachen, dass Unterschiede in Einkommen und Wohlstand so alt waren wie die Menschheit. Das versetzte sie in flammende Empörung.
    Â»Es hat auch schon immer Krankheiten gegeben, und trotzdem tut man was dagegen«, meinte Sarah.
    Â»Dann müssen die Reichen eben mehr abgeben«, fand Louise.
    Â»Die Reichen, das sind in diesem Fall wir«, gab ich zu bedenken.
    Zum ersten Mal in ihrem jungen Leben wurde den beiden bewusst, dass sie zu jener hauchdünnen Sahneschicht der Menschheit gehörten, die weitgehend frei von Angst vor Kriegen, Hungersnöten und tödlichen Infektionskrankheiten leben durften. Die keine Angst vor morgen haben musste und nur selten Angst vor ihren Nachbarn.
    Und dass weltweite Gerechtigkeit für uns selbst zuallererst Verzicht bedeuten würde.
    Es war offensichtlich, sie hatten ihr Thema gefunden.
    Nun entwickelte sich eine lebhafte Diskussion, worauf man verzichten könnte oder sollte oder müsste. Es war nicht ein Gespräch zwischen Vater und Kindern, sondern ein Austausch auf Augenhöhe. Und es war eine Freude zu sehen, wie viel Erwachsensein sich schon verbarg hinter den oft noch kindlichen Fassaden.
    Irgendwann sah Sarah auf die Uhr und wechselte einen erschrockenen Blick mit ihrer eine halbe Stunde jüngeren Schwester.
    Â»Wir sollten vielleicht langsam mal …«
    Ich erhob mich mit ihnen. Ich hatte noch eine Verabredung, auf die ich mich freute.
    Â»Schade«, sagte Louise. »Ausgerechnet jetzt, wo’s so spannend war.«

    Die Beine weit von mir gestreckt, saß ich auf Lorenzos Terrasse mit dem sensationellen Blick auf Schloss, Neckar und Altstadt. In Griffweite stand eine Flasche Chardonnay in einem schweren, echt versilberten Kühler, der irgendwann einmal auf unbekannten Wegen dem Hotel Beau Rivage in Nizza abhanden gekommen war. Lorenzo klapperte in der Küche. Es duftete göttlich. Was es gab, verriet er grundsätzlich nie, bevor die Teller auf dem Tisch standen.
    Â»Hat eigentlich noch nie ein Japaner versucht, dir dein Haus abzukaufen?«, rief ich.
    Â»Hin und wieder«, antwortete Lorenzo mit behäbigem Lachen. »Ich könnte längst Millionär sein. Das Dumme ist nur: Ich will überhaupt kein Millionär sein.«
    Lorenzo hatte nach dem Motto »Slow down your life« gelebt, lange bevor die Welt diesen Trend entdeckt hatte.
    Â»Würdest du mir bitte helfen?«, rief er Minuten später.
    Schon bei der Begrüßung war mir aufgefallen, dass er noch schlechter zu Fuß war als bei unserem letzten Treffen Schon damals hatte er beim Gehen einen Stock benutzen müssen. Aber er hatte nie geklagt. Die Arthritis war sein Schicksal. Sie gehörte zu seinem Leben wie gutes Essen, exzellente Weine und mehr oder weniger geistreiche Gespräche.
    Ich stemmte mich aus dem dezent knarrenden Rattansessel und betrat das Haus. Lorenzos Einrichtung war alt und vermutlich wertvoll und dabei unsagbar finster und hässlich. Klotzige Möbel aus dunklem Holz, schwere, düstere Vorhänge, Ölschinken, mit denen man kleine Kinder erschrecken konnte. Er hatte das Haus von seinen Eltern geerbt und alles so gelassen, wie es war. So sehr er bei anderen Dingen Wert auf Stil legte, so gleichgültig schien es ihm zu sein, wie es um ihn herum aussah.
    Es gab Doraden. Wie er so schnell frischen Fisch aufgetrieben hatte, wo er doch nicht einmal ein Auto besaß, war mir ein Rätsel. Mein Besuch war mehr oder weniger ein Überfall gewesen, und Tiefgekühltes kam für Lorenzo nicht in Frage. Erst gegen sieben hatte ich angerufen und mein Kommen angekündigt. Dennoch hatte er es geschafft, zwei Doraden in den Ofen zu bringen, die vermutlich noch vor achtundvierzig Stunden quicklebendig in irgendeinem Ozean herumgetollt waren. Dazu gab es Fenchelgemüse und Rosmarinkartöffelchen und ein nach allen Wohlgerüchen des Paradieses duftendes Sößchen. Ich trug die vorgewärmten Teller hinaus, Lorenzo folgte mir mühsam und inzwischen auf zwei Stöcke gestützt.
    Ãœber dem Rheintal ging majestätisch eine blutrote Sonne unter. Wir nahmen feierlich Platz.
    Während die Sonne allmählich im Dunst versank, aßen wir schweigend. Bei Lorenzo wurde beim Essen nicht gesprochen, und ich genoss die Stille. Hier, auf dieser Terrasse, fand ich die Ruhe, die ich im Moment so sehr brauchte. Diesem alten Mann, der gerade mit erstaunlichem

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