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Der fünfte Mörder

Titel: Der fünfte Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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Diskussionen?«
    Â»Ich würde trotzdem gerne verstehen, was du eben gemeint hast.«
    Â»Nun denn«, seufzte er und nahm einen Schluck aus seinem Glas.
    Inzwischen war es dunkel geworden. Das einzige Licht spendeten der Mond, der vor einigen Minuten im Osten aufgegangen war, und ein blakendes Windlicht auf dem Tisch.
    Lorenzo sah mir ins Gesicht. »Entspricht das, was Cesare tut, nicht exakt der Logik unseres Wirtschaftssystems?«
    Â»Inwiefern?«
    Â»Basiert unser ganzes System nicht letztlich auf dem Prinzip des Urwalds? Der Starke nimmt dem Schwachen etwas weg. Starke Länder nehmen den schwachen weg, was sie brauchen, um ihren Wohlstand zu mehren: ihre Rohstoffe, ihre talentiertesten Köpfe. Starke Volkswirtschaften verdrängen schwache von den weltweiten Märkten. Starke Firmen treiben schwache in den Konkurs. Starke Männer nehmen schwachen ihre Stellungen weg, ihre Frauen, ihren Besitz.«
    Â»Und solange alles mit rechten Dingen zugeht, solange alle sich an die Regeln halten, ist das auch völlig in Ordnung so. Das nennt man nämlich Wettbewerb. Und damit es mit rechten Dingen zugeht, gibt es bei uns eine Menge Gesetze und zum Beispiel Polizisten wie mich.«
    Â»Falsch, mein Freund«, erwiderte Lorenzo kalt. »Deine Gesetze mögen helfen, die ärgsten Auswüchse zu kappen. Wirklich verhindern werden und sollen sie nichts, denn das Prinzip des Urwalds ist nun einmal die Basis unseres Systems. Und Cesare folgt genau diesem Prinzip. Er ist stark und kann es sich leisten, jedem, der in seinem Einflussbereich einen Sack Zement benötigt, fünfzig Cent extra zu berechnen. Davon wird der andere nicht arm, und Cesare reicher und reicher. Mafia ist nichts anderes als Kapitalismus mit offenem Visier, wenn du so willst. So einfach ist das.«
    Â»Nein, so einfach ist das ganz und gar nicht. Die Frage ist, wo zieht man die Grenze? Wo hört der Wettbewerb auf, und wo fängt die Kriminalität an?«
    Â»Diese Frage wird dir leider niemand beantworten können.« Plötzlich lächelte Lorenzo wieder. »Was vor zwanzig Jahren legal war, kann heute mit derselben Berechtigung verboten sein und umgekehrt. Wer heute Terrorist genannt wird, steht in fünfzig Jahren vielleicht als Held in den Geschichtsbüchern. Was in Deutschland als Verbrechen verfolgt wird, ist vielleicht fünfhundert Kilometer weiter ehrenwert. Ich könnte dir tausend Beispiele nennen, wie beliebig das ist, was du Recht nennst oder womöglich sogar Gerechtigkeit.«
    Ãœber uns flatterte eine Fledermaus. Augenblicke später war sie schon verschwunden. Ein Geruch nach Basilikum wehte mir um die Nase. Ich entspannte mich.
    Â»Trotzdem habe ich ein komisches Gefühl dabei, Wein zu trinken, den ein Mafioso angebaut hat. Das Problem ist nur, dass dein Teufelszeug so höllisch gut schmeckt.«
    Â»Reben kennen keine Schuld, sondern nur Sonne und Geschmack. Der Weinberg, wo dieses himmlische Gewächs gedeiht, ist kaum größer als zwei Fußballfelder. Es gibt pro Jahr vielleicht fünfhundert Flaschen davon. Lohnt es sich wirklich, wegen fünfhundert Flaschen Wein eine Grundsatzdiskussion zu führen, während angesehene deutsche Konzerne in der Dritten Welt Millionen über Millionen an Schmiergeldern verteilen, um ihre Konkurrenten aus dem Geschäft zu drängen?«
    Â»Bist du eigentlich Kommunist oder so was?«
    Lorenzo lachte, als hätte ich einen köstlichen Witz gemacht. »Für Politik habe ich mich nie interessiert. Dazu ist das Leben zu schön und zu kurz.«
    Hatte er recht? Hatte ich recht? Womit eigentlich? Allmählich wollten meine Gedanken meinem Willen nicht mehr gehorchen. Dieser Abend war vielleicht wirklich zu schön und der Wein zu gut, um über Prinzipien herumzustreiten.
    Â»Jetzt haben wir überhaupt nicht Schach gespielt«, bemerkte Lorenzo, als ich mich verabschiedete, um zu Hause nach dem Rechten zu sehen. »Das müssen wir demnächst unbedingt nachholen.«
    Â»Ich bringe die Zutaten fürs Essen mit«, sagte ich.

20
    Als ich beschwingt die Heidelberger Hauptstraße entlangschlenderte, war plötzlich das Gefühl wieder da. Ausgerechnet jetzt überfiel mich heftiges Verlangen nach Theresa. Zu gern hätte ich sie in dieser Sekunde in die Arme genommen, fest an mich gedrückt, an ihrem duftenden Haar geschnuppert. Ich schrieb ihr eine neu verliebte SMS , erhielt jedoch keine

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