Der Fürst der Dunkelheit
war Sean.
“Kommen Sie ins Leichenschauhaus.”
“Jetzt gleich?”
“Ich bitte darum.”
“Lauren.”
Lauren fuhr erschrocken zusammen. Sie war auf ihrem Stuhl eingenickt.
Sie sah hinüber zu Heidi, die sich auf einem Stuhl rekelte; aber Heidi hatte gar nichts gesagt.
Beide starrten Deanna an.
Lauren blinzelte.
Diesmal schien es, als wäre Deanna wirklich wieder bei Bewusstsein.
Lauren und Heidi wären beinahe zusammengestoßen, als sie aufsprangen und an Deannas Bett eilten.
“Hallo!”, sagte Heidi.
“Deanna”, keuchte Lauren.
“Ich habe Durst”, wisperte Deanna.
“Sofort”, sagte Heidi.
Lauren lächelte und hob Deannas Kopf an, damit Heidi ihr das Glas an die Lippen führen konnte. Deanna trank gierig.
“Langsam”, warnte Lauren.
Deanna nickte, trank, ließ sich wieder in die Kissen zurücksinken.
Für einen Moment schloss sie die Augen, dann riss sie sie wieder auf.
“Jonas”, sagte sie.”
“Jonas”, wiederholte Lauren ausdruckslos. Dann runzelte sie die Stirn. Wo steckte Jonas überhaupt? Ewigkeiten war er Deanna nicht von der Seite gewichen, aber heute …
Deanna war allein gewesen, ganz allein, während Bobby draußen mit Leticia kämpfte und plötzlich der helle Wahnsinn ausgebrochen war.
Wo war Jonas da gewesen?
“Er ist bei mir gewesen, nicht wahr?”, fragte Deanna leise.
“Ja, Schatz, er war da”, versicherte Heidi ihr und strich ihr das Haar zurück.
Deanna sah Lauren intensiv an. “Jonas ist
gut”
, sagte sie entschlossen.
Aber Lauren fragte sich, warum zum Teufel er dann verschwunden war, als Deanna ihn am dringendsten brauchte.
Bernie Gibbs hatte Nachtdienst im Leichenschauhaus. Sein Job war es, an einem Schreibtisch zu sitzen, alles zu erledigen, was die Pathologen von ihm verlangten, und die Papiere für sämtliche armen Seelen zu unterzeichnen, die heute Nacht diese Welt verlassen mochten. Da die Ärzte nachts meistens keine Hilfe brauchten, las er hauptsächlich Bücher und zeichnete Papiere für die hereingebrachten Leichen ab.
Er hatte ziemlich oft Nachtdienst. Eigentlich mochte er das sogar, er schätzte die Stille. Dieser Job hier hatte ihn nun schon durch drei Jahre an der Tulane University gebracht. Zwar hatte er einige ziemlich absonderliche Geschichten gehört, aber das machte ihm überhaupt nichts aus. Er war die Sorte junger Bursche, der sich die grauenvollsten Horrorfilme ansehen konnte, ohne mit der Wimper zu zucken. Nachdem er nun das naturwissenschaftliche Vorstudium abgeschlossen und mit dem eigentlichen Medizinstudium begonnen hatte, hatte er sowieso schon viel schlimmere Sachen zu sehen bekommen als alles, was die Spinner in Hollywood sich ausdenken konnten.
Heute Nacht war er ziemlich gut drauf. Aus der Bücherei hatte er sich einen viel gepriesenen neuen Spionagethriller ausgeliehen, und der war tatsächlich so fesselnd, wie die Rezensionen versprachen. Er war sogar froh, jetzt Dienst zu haben, denn die Leichen störten ihn nie, wenn das Buch gerade richtig spannend wurde.
Es hatte nur einen Anruf gegeben, von Lieutenant Canady, der ihm sagte, dass er vorbeikommen würde. Ohne zu erklären, warum. Aber das war in Ordnung, dieser Canady war ein toller Kerl. Falls man ein Gauner war, wäre er einem immer dicht auf den Fersen, aber solange man nur ein gewöhnlicher Typ war, der seine Arbeit machte, war ihm ganz egal, womit man seine Freizeit verbrachte. Aber bisher war Canady nicht aufgetaucht.
Plötzlich waren Geräusche zu hören – gerade jetzt als der Spion seiner asiatischen Nemesis gegenüberstand. Das riss ihn aus seiner Konzentration auf das Buch, und er legte den Kopf schräg, um zu lauschen.
Nichts.
Er fragte sich, was zum Teufel das für ein Geräusch gewesen sein mochte. Irgendwas musste hingefallen sein. Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das Buch, aber ständig fragte er sich, was da wohl hingefallen war.
Er legte das Buch hin und fluchte leise. War eine Tür offen gelassen worden? Oder gab es hier Ratten oder so was?
Mist.
Er sollte besser mal nachsehen.
Er stand auf und sah sich um. Eine Waffe hatte er nicht. Aushilfskräfte im Leichenschauhaus bekamen normalerweise keine Probleme mit der Kundschaft. Aber was, wenn irgendein Spinner eingebrochen war? Die einzige Waffe, die er hatte, war sein Buch. “Super”, sagte er laut. Die Schlagzeile sah er schon vor sich: “Tapferer Nachtwächter im Leichenschauhaus vereitelt Einbruch mit Spionageroman”.
Nein, das Buch würde nicht reichen.
In den
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