Der Fürst der Maler
Gesicht in die Hände gestützt, und starrte in die flackernde Flamme einer Kerze. Der Weinbecher neben ihm war leer – vermutlich nicht zum ersten Mal an diesem Abend.
Als ich die Tür hinter mir schloss, hob er das bleiche Antlitz. »Raffaello!«
»Dein Diener sagte, du seiest in Trauer? Was ist geschehen?«
»Er ist tot«, flüsterte er.
Ich trat an den Schreibtisch heran. »Wer …?«
»Cesare Borgia.«
»Dio mio!« Ich ließ mich auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch fallen. »Wie …«
»Er fiel in der Schlacht – sein Mut wurde ihm zum Verhängnis. Er hatte das beste Pferd und war ein kühner Reiter, er ließ alle anderen hinter sich. Und bemerkte nicht, dass er allein war. Er geriet in einen Hinterhalt, wurde vom Pferd gezogen, tödlich verwundet. Er kämpfte weiter, bis er überwältigt wurde – von einem Bauern!
Fünfundzwanzig Wunden! Sie haben auf ihn eingeschlagen, als wäre er der leibhaftige Satan. Nackt und blutend ließen sie ihn zurück. Drei Tage vor den Iden des März starb Cesare im Schlamm von Navarra – und die Bauern wussten nicht einmal, wen sie getötet hatten.« Niccolò brach in Tränen aus. »Der Kardinal von Valencia, der den Vatikan in Atem hielt, der Herzog der Romagna, vor dem die Fürsten Italiens in die Knie gingen, ist tot! Der kühnste Heerführer seit Gaius Julius Caesar! Der kultivierteste Fürst seit Marcus Aurelius …«
»… und der grausamste, gerissenste Schlächter …«, warf ich ein.
»… totgeschlagen von einem unwissenden Bauerntölpel«, fuhr Niccolò mit tränenerstickter Stimme fort. »Cesares Leben hat etwas von einer klassischen Tragödie: Ikaros kam der Sonne zu nah und stürzte ab.«
Er trocknete seine Tränen am Ärmel.
Ich hatte Niccolò als ehrgeizigen und fähigen Staatssekretär der Republik kennen gelernt, der mit Herzögen und Königen über die florentinische Außenpolitik verhandelte – ein Mann aus Marmor, unverrückbar und beständig. Unangreifbar. In diesem Zustand hatte ich ihn noch nie gesehen.
»Worüber bist du so verzweifelt, Niccolò? Weil Cesare Borgia, dein Held, tot ist? Weil du erkannt hast, dass ein Mensch nicht alles tun kann, wenn er es nur will?«
Niccolò lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Seine Hände waren zu Fäusten geballt. »Nein, Raffaello! Weil ich erkannt habe, dass die Adler jung sterben und die Ratten überleben!« Er schlug zornig auf den Tisch, erhob sich und trat an den Kamin hinter seinem Schreibtisch, um in die Flammen zu starren.
»Es ist besser so, Niccolò. Cesare Borgia wollte nach Italien zurückkehren. Es hätte wieder Krieg gegeben«, warf ich ein.
»Nichts wird besser! Alles wird nur noch schlimmer! Denn jetzt werden die Ratten die Macht ergreifen.« Niccolò drehte sich zu mir um, trat an den Schreibtisch und nahm das Manuskript des Principe in die Hand. »›Von der Erwerbung eines Fürstentums durch Waffen‹«, zitierte er eine der Kapitelüberschriften. »›Von Fürsten, die durch Verbrechen zur Herrschaft gelangen‹.« Er presste die handgeschriebenen Seiten an sich, als würde er von einem alten Freund Abschied nehmen. »Und ich habe ihnen im Principe den Weg gezeigt, wie sie die Macht ergreifen können! Wie sie ihre Gegner matt setzen und vom Spielfeld werfen können! Wie sie herrschen können! Was für ein Idiot ich war!« Niccolò warf das Manuskript in die Flammen des Kamins.
Das Pergament brannte sofort, die Seiten verfärbten sich an den Rändern, rollten sich ein, die Glut fraß sich durch die Buchstaben.
Ich sprang auf, ergriff den Schürhaken und zog die brennenden Seiten aus dem Feuer. »Bist du verrückt geworden, Niccolò?«
»Ja, ich bin verrückt!«, rief er aus. Er wandte sich ab, konnte nicht zusehen, wie das Manuskript, an dem er seit Jahren gearbeitet hatte, zu Asche zerfiel.
Ich hob die glühenden Seiten auf. Ein paar verkohlte Fetzen rieselten zu Boden, als ich das Manuskript auf seinen Schreibtisch legte. Die Hälfte der Seiten war verbrannt. Vernichtet.
»Das Schicksal ist ein Sturm, Raffaello«, flüsterte Niccolò, als er sich kraftlos in den Sessel hinter seinem Schreibtisch fallen ließ. »Er ist unberechenbar und gewaltig. Er reißt alles mit sich, was sich ihm in den Weg stellt. Cesare Borgia. Dich. Mich …« Er blies die flackernde Kerze aus. »Einfach so.«
»Und die Ratten, von denen du sprachst …?«, fragte ich sanft.
Niccolò lachte, aber es war nichts Fröhliches in seiner Stimme. »Die Ratten … Kein Mensch kann sie
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