Der Fürst der Maler
für Monate in Bologna festhalten würde – fern von Rom. Ich fragte mich, ob nicht Donato Bramante seine Hände im Spiel hatte.
Albrecht Dürer, der sich seit November auf seiner Rückreise von Venedig nach Nürnberg in Bologna aufhielt, porträtierte Michelangelo in einem Kupferstich. Albrecht schickte mir einen Abdruck des Stichs, den er in seinem Brief Der Verzweifelte nannte. Ich war betroffen. Der Gesichtsausdruck des Verzweifelten war wie geschaffen für eine der Statuen Michelangelos für das Grabmal: den Gefesselten Sklaven.
Michelangelo hatte sich am Ende doch dem Willen des Papstes unterwerfen müssen!
Es war schon spät am Abend, als ich meine Maske aufsetzte und mich durch das bunte Karnevalstreiben in den Straßen von Florenz bis zu Niccolò Machiavellis Palazzo durchkämpfte. Ich trug ein kostbares französisches Doublet mit weiten geschlitzten Ärmeln, darunter Seidenstrümpfe, auf dem Kopf ein Barett. Gio’ hatte mir den Spiegel vorgehalten: Ich war gekleidet wie ein Fürst – der Malerfürst von Florenz.
Seit Michelangelos Abreise kurz vor Weihnachten nach Bologna, wo er sich seit Monaten mit der Bronzestatue herumärgerte, war mein Atelier im Konvent von San Marco der Mittelpunkt von Florenz. Die Maestros und diejenigen, die es eines Tages sein wollten, pilgerten in meine Werkstatt, um die Grablegung zu sehen, an der ich Tag und Nacht arbeitete. Sandro Botticelli war mit offenem Mund davor stehen geblieben. Andrea del Sarto hatte sich einen ganzen Tag neben mich gesetzt, um mir dabei zuzusehen, wie ich eine der unzähligen transparenten Farbschichten auftrug. »Es ist wirklicher als die Wirklichkeit«, hatte er beim Abendessen im Refektorium anerkennend gesagt.
Aber das schönste Kompliment kam von Niccolò Machiavelli: »Es ist das bewegteste, bewegendste Bild, das ich je gesehen habe«, hatte er eines Abends gesagt, als ein Dominikanermönch uns zwei karge Mahlzeiten gebracht hatte. »Leonardos Schlacht von Anghiari, die Michelangelo nicht ganz zu Unrecht den ›Sturz des Phaeton‹ betitelte, ist eine Gruppe von wütenden Menschen und rasenden Pferden, die um eine Fahne ringen. Der Betrachter ahnt nicht, welche der beiden Parteien siegen wird. Keine der gemalten Figuren ist ein Held.
Und Michelangelos Schlacht von Cascina, die Leonardo abfällig ›Die Badenden‹ nannte, ist noch inhaltsloser! Wir sehen den Feind nicht. Und auch keine Gefühle der Zuversicht über den nahen Sieg oder der Furcht vor der Niederlage. Die Figuren sind zum Zerreißen gespannt, aber leidenschaftslos, sie sind bewegt, aber sie bewegen nicht.
Doch deine Grablegung enthält mehr Gefühle als deine Palette Farben. Verzweiflung, Furcht, Unglauben, Zorn, Nachdenklichkeit. Sie enthält Bewegung, Haltung, Perspektive. Und Hoffnung. Denn dein Christus scheint nur zu schlafen …«
Ich überquerte die Piazza Santa Croce. Das Palio-Pferderennen war längst entschieden: Das Viertel, in dem ich wohnte, hatte das Rennen gewonnen. Das Siegesmahl im geschmückten Festzelt war längst zu einer bacchantischen Orgie geworden. Die bunt gekleideten Fahnenschwenker hatten die Flaggen ihrer Stadtviertel zur Seite gelegt und widmeten sich anderen, weniger anstrengenden Beschäftigungen. Überall auf der Piazza wurde getanzt, gelacht und in manch dunklem Torbogen wohl auch geliebt.
Ein Mädchen hakte sich bei mir unter und zog mich mit sich fort. »Ganz allein, mein schöner Fürst?«, neckte sie mich.
Ich tanzte mit ihr eine Tarantella, bis wir beide außer Atem waren.
Lachend warf sie sich in meine Arme. »Hast du schon etwas vor?«, flüsterte sie in mein Ohr.
»Ich bin verabredet …«, erklärte ich ihr und befreite mich aus ihrer Umarmung.
Niccolò wartete sicher schon ungeduldig auf mich. In dieser Nacht wollten wir durch die Straßen ziehen und nicht vor dem Morgengrauen ins Bett fallen.
Als ich die Stufen zu Niccolòs Palazzo hinaufstieg, wurde ich von einem seiner Diener in tiefroter Kleidung empfangen: »Guten Abend, Maestro.«
Der Empfangsraum war nur von zwei Kerzen erleuchtet, der Spiegel mit einem roten Tuch verhängt.
»Was ist los?«, fragte ich irritiert. Meine ausgelassene Karnevalsstimmung war wie weggeblasen.
»Der Signore ist in Trauer, Maestro«, sagte der Diener.
Wen betrauerte Niccolò? Wo war seine Frau Marietta? Und sein kleiner Sohn? Ich stürmte die Treppe hoch in Niccolòs Arbeitszimmer im ersten Stock des Palazzo. Als ich eintrat, saß er mit offenem Hemd an seinem Schreibtisch, das
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