Der Fürst der Maler
der ich fähig war, legte ich in meine Stimme.
Wer hatte Gian Paolo Baglioni von den Skizzen erzählt? Hatte Pietro die Chance genutzt, mich aus Perugia zu entfernen, wie es Bramante in Rom mit Michelangelo getan hatte?
In den wenigen Tagen meines Aufenthaltes hatte ich zusammen mit Gio’ und Gianni unermüdlich am Fresko der Trinità gearbeitet, dessen obere Hälfte bereits vollendet war. Und nicht nur Atalanta Baglioni, sondern auch die Nonnen von Monteluce waren mit der Bestellung einer Marienkrönung an mich herangetreten: ein Auftrag, den Pietro sehr gerne ausgeführt hätte!
Zornig kehrte ich in Pietros Werkstatt zurück, um meine Reisetruhen zu packen und Gio’ und Gianni die Pferde satteln zu lassen. Zwei Stunden später machten wir uns auf den Weg durch die tief verschneite Toskana.
Meine Auseinandersetzung mit Gian Paolo Baglioni und Pietro Perugino sollte nicht der einzige Konflikt bleiben, den ich mit der Grablegung Christi heraufbeschwor.
Sobald ich nach Florenz zurückgekehrt war, begann ich, meine Skizzen aus Perugia auszuarbeiten. Tief vermummt gegen den kalten Wind hockte ich im Schneegestöber auf dem Fischmarkt am Arno und sah den Fischern zu, die morgens und abends die schweren Kisten zu ihren Ständen trugen. Ich skizzierte die Fleischhauer auf dem Ponte Vecchio, die Rinderhälften schleppten, zwei Schmiede mit einem Wagenrad, Marktfrauen mit ihren Körben. Ich verglich die Skizzen in meiner Zeichenmappe mit Sandro Botticellis Beweinung Christi, mit Michelangelos Grablegung und mit Fra Bartolomeos Kreuzabnahme.
Das Leben Christi ist nicht darstellbar – diese Erkenntnis traf mich wie ein Schlag ins Gesicht –, nicht in Seinen Gesichtszügen, nicht in Seiner Haltung. Wie sollte ich über die menschliche Erscheinung hinaus das darstellen, was Er durch seinen Tod am Kreuz der Menschheit gegeben hatte? Wie sollte ich Ihn malen – als tragischen Helden?
Meine Entwürfe zeigten Christus als einen von ewigem Leben erfüllten Schlafenden, der auf einem Schweißtuch getragen wird. Maria Magdalena hält seine Hand, während die Madonna ohnmächtig zu Boden sinkt. Ich verband die Figuren durch Gesten und Blicke, sodass die Bewegung einer Figur die aller anderen bedingte, und verschmolz so die vielen Körper zu einem bewegten Ganzen. Dann schickte ich Gio’ zum Papierhändler, alles Papier aufzukaufen, das er bekommen konnte, um einen großen Karton zusammenzuleimen. Den letzten Entwurf wollte ich in der Größe des Tafelbildes zeichnen. Schließlich übertrug ich die Komposition auf eine Holztafel.
Michelangelo hatte erst vor wenigen Wochen den fertigen Karton der Schlacht von Cascina öffentlich ausgestellt. Kein Künstler hatte sich bisher an derart bewegte Szenen herangewagt. Wortlos verharrte Michelangelo eine Weile vor meinem Karton der Grablegung und betrachtete die Figuren.
Ich trat neben ihn.
Wie er sich beherrschen musste, als er meinen Erlöser anstarrte! Schließlich brach es aus ihm hervor: »Du hast meinen Christus aus der Pietà von San Pietro in Rom kopiert«, brüllte er. »Und die kniende Frau, die die ohnmächtige Maria stützt, ist eine Kopie meiner Madonna für Angelo Doni.«
Und er fügte der Liste seiner Beschimpfungen eine weitere hinzu: Plagiator.
Ich verzichtete darauf, ihn daran zu erinnern, wie er vor Jahren einen von ihm gemeißelten Cupido in der Erde vergraben hatte, um ihn antik erscheinen zu lassen, und wie Kardinal Rafaele Riario in Rom auf den Betrug reagiert hatte. Und ich verschwieg ihm, dass ich mich selbst kopiert hatte – der Christus stammte aus einer kleinen Pietà, die ich vor Jahren für eine Altartafel in Perugia gemalt hatte.
Am nächsten Tag reiste Michelangelo nach Bologna, um sich mit Julius, der sich noch immer in der eroberten Stadt aufhielt, zu versöhnen. Er wolle sich lieber mit dem Lügenbeutel Bramante in Rom herumschlagen als mit mir in Florenz – das waren seine Worte beim Abschied.
Niccolò Machiavelli, der Michelangelo ein Empfehlungsschreiben von Piero Soderini für den Papst mitgegeben hatte, erzählte mir, dass Julius sich zuerst darüber erregt hatte, dass er zu Michelangelo habe kommen müssen und nicht dieser zu ihm – denn Bologna sei näher an Florenz als Florenz an Rom –, doch dann war Seine Heiligkeit die Idee gekommen, Michelangelo als Buße eine gigantische Bronzestatue gießen zu lassen: der Sieger von Bologna mit dem erhobenen Schwert – nicht mit dem Evangelium!
Die Statue war eine Arbeit, die Michelangelo
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