Der Fürst der Maler
scherzte Alessandro mit einem bissigen Unterton.
Kaufte er sich nicht selbst den Weg zum Thron Petri mit den Dukaten aus den Schatzkammern der Orsini frei?
»Das führt uns zu Regel Drei!«, fuhr Giovanni mit gespieltem Ernst fort: » Do ut des – ich gebe, damit du mir gibst! Das ist eine der wichtigsten Regeln, Raffaello. Nimm von niemandem Ring und Purpursoutane an, der nicht ganz sicher nach dem nächsten Konklave der Papst ist.«
»Ich hatte nicht vor, Kardinal zu werden«, erklärte ich.
»Sag das nicht, Raffaello! Spiritus Sanctus ubi volumus spirat – der Heilige Geist weht, wo wir – die Kardinäle – wollen. Diese vierte Regel hat selbst Papst Julius in den fünf Jahren seines Pontifikates noch nicht verstanden …«, erklärte Giovanni.
»Regel Fünf!«, unterbrach Alessandro Giovannis Ausführungen. »Wenn du Papst geworden bist: Divide et impera! Stifte Unfrieden und herrsche! Leg dich niemals mit einem Kardinal an, wenn du zwei verärgern kannst! Sorge aber dafür, dass es einen lachenden Dritten gibt, der dir den Rücken freihält, wenn es zur Schlammschlacht kommt. Und hole deine Kohlen nie selbst aus dem Feuer, denn dafür gibt es Monsignori, die liebend gerne eines Tages deinen Sitz im Kardinalskollegium einnehmen würden.«
»Regel Sechs!«, sagte Giovanni, um dann den Kopf zu schütteln. »Regel Sechs ist mir entfallen. Wahrscheinlich besagt sie, dass es gar keine Regeln gibt.«
Es war ein wundervoller Abend. Um Mitternacht tanzte ich mit Silvia Ruffini eine Pavane, während Gian Giordano Orsini Giulia Farnese über den orientalischen Teppich führte. Die beiden turtelten wie zwei verliebte Tauben, Orsini schlug sein Pfauenrad, und später verschwanden die beiden für eine Stunde im oberen Stockwerk.
Als Alessandro mir Silvia mit einem eifersüchtigen Blick aus dem Arm nahm, um mit ihr die Tarantella zu tanzen, ließ ich mich wieder neben Giovanni auf die Kissen fallen.
Ernst beobachtete er durch sein Augenglas die Gäste, die sich auf seine Kosten amüsierten, und naschte von den getrockneten Feigen. Seine Kurzsichtigkeit hatte in den letzten Monaten so zugenommen, dass er fast ständig seine Oculi oder das Augenglas benutzte.
Neben ihm auf einem Kissen saß Monsignor Tommaso Inghirami, den ich bereits im Palazzo Medici in Florenz kennen gelernt hatte.
Inghirami stammte aus einer angesehenen Familie in Volterra, hatte als Kind beide Eltern verloren und war im Palazzo Medici zusammen mit Lorenzos Kindern aufgewachsen. Er hatte seine Karriere im Vatikan unter Papst Alexander begonnen, als sein ›Bruder‹ Giovanni Kardinal wurde. Tommaso Inghirami war Giovannis Sekretär, Bibliothekar, Vertrauter und Alter Ego. Und wie Giovanni verstand er es, seine Gedanken hinter dem unergründlichen Lächeln einer Sphinx zu verbergen. Sein größtes Geheimnis war jedoch sein schielender Blick: Niemals sah er seinem Gesprächspartner in die Augen, niemals wusste sein Gegenüber, ob Inghirami sich nun über ihn lustig machte oder über jemand anderen lachte …
»Was ist los?«, fragte ich.
Tommaso Inghirami sah sehr ernst aus.
Giovanni reichte mir einen gefalteten Brief mit dem Siegel der Medici. »Mein Bruder Giuliano hat mir aus Urbino geschrieben. Tommaso brachte mir den Brief vor wenigen Minuten aus dem Vatikan. Herzog Francesco weigert sich, nach Rom zu kommen, wenn Julius nicht für seine Sicherheit und Freiheit garantiert.«
»Francesco weigert sich?«, fragte ich verblüfft und überflog Giulianos Brief, während Giovanni weitersprach:
»Tommaso sagt, dass Julius tobt. Die Gewitterwolken hängen tief, es donnert gewaltig, und der Blitz des Kirchenbanns könnte noch heute Nacht im Palazzo Ducale von Urbino einschlagen.«
»So schlimm?«, fragte ich entsetzt.
»Schlimmer, Raffaello! Julius sprach nicht nur davon, Francesco della Rovere zu exkommunizieren, sondern das ganze Herzogtum Urbino mit dem Interdikt zu strafen, wenn der Herzog sich nicht bedingungslos unterwirft.«
»Dio mio!« , flüsterte ich.
»Herzog Francesco muss nach Rom kommen, Raffaello!«
Aber wie konnte dieses Wunder vollbracht werden?
Unruhig lief ich in dem Gästezimmer auf und ab. Giovanni hatte mir angeboten, die Nacht oder was davon noch übrig war im Palazzo Medici zu verbringen. Ich ließ mich auf das Bett fallen, starrte an die Decke, stand wieder auf und setzte meine einsame Wanderung fort.
Ich erinnerte mich an Francescos Worte, die er mir auf dem Balkon des Palazzo Ducale gesagt hatte: »Ich will,
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