Der Fürst der Maler
seid.«
Orsini schenkte mir ein Lächeln, dann steuerte er auf direktem Kurs zu Giulia Farnese Orsini, der Gemahlin seines Cousins, die neben ihrem Bruder Alessandro stand. Er wich den ganzen Abend nicht mehr von ihrer Seite.
Wusste Felice von der Affäre ihres Gemahls mit La Bella Giulia?
Giovanni bat mich an seinen Tisch. Nebeneinander lagen wir auf einem bequemen Berg von seidenen Polstern und dicken Brokatkissen. Alessandro Farnese und Rafaele Riario nahmen mit ihren Geliebten ebenfalls an unserem Tisch Platz.
Riario war 1478 in die Pazzi-Verschwörung gegen die Medici verwickelt gewesen. Er hatte als Kardinal im Dom von Florenz der Messe beigewohnt, als Il Magnificos Bruder Giuliano von den Pazzi ermordet wurde. Nach dem Attentat hatte er einige Tage als Geisel im Palazzo Medici gewohnt, bis Lorenzo de’ Medici den Jungen schließlich nach Rom zu seinem Onkel Papst Sixtus zurückschickte.
Dienerinnen in türkischen Gewändern schenkten unsere Weingläser mit eisgekühltem Montepulciano voll. Die Gerichte wurden auf großen Silberplatten aufgetragen: Kapaune und Rebhühner, Taubenpastete mit Pfeffer, Wachteleier mit Goldstaub, Nachtigallenzungen, geräucherter Aal, gebratene Flusskrebse, Austern aus Ostia und Forellen aus dem Arno. Dazu gab es knuspriges Brot mit Honig und Gewürzen und Pastinaken mit Safran.
Während Alessandro sich nach jedem Gang alle Finger ableckte, aß Giovanni nur mäßig: ein Stück Brot mit einem Hauch Butter, zwei Gläser verdünnter Chianti.
Schon in Florenz hatte ich mich über seine Selbstbeherrschung gewundert, während der aufwändigsten Bankette in seinem eigenen Palazzo Fastenspeisen zu essen und Eiswasser zu trinken. Das tat er allerdings nicht aus Gründen der Askese, sondern weil Giovanni von seinem Vater Lorenzo die Krankheit geerbt hatte, die Il Magnifico wie auch Herzog Guido zur schmerzhaften Unbeweglichkeit verdammte: die Gicht. Durch strenges Fasten und viel Bewegung – er ritt leidenschaftlich gerne – versuchte er, die Symptome der Krankheit zurückzudrängen.
Giovanni beobachtete amüsiert, wie Alessandro sich von dem Hühnchen in Kapernsauce nahm. »S P Q R!«, sagte er mit dem Lächeln einer Sphinx.
Alessandro sah irritiert auf. »Wie?«, fragte er mit vollem Mund.
»Jetzt habe ich es begriffen«, sinnierte Giovanni. »Die römische Inschrift bedeutet gar nicht Senatus Popolusque Romanus …«
»Ach nein?«, fragte Alessandro.
»S P Q R bedeutet: › Sono pagani questi Romani – sie sind Heiden, diese Römer‹«, lachte Giovanni.
»Heiden?«, fragte Alessandro verständnislos. Er war Römer.
»Mein lieber Alessandro, heute ist Freitag. Fastentag! Als Kardinal solltest du so etwas wissen …«
»Und ich dachte, es wäre schon nach Mitternacht«, konterte Alessandro schlagfertig und aß hemmungslos weiter. »Und außerdem bist du doch selbst ein halber Heide, Giovanni. Deine Mutter Clarice war eine Orsini aus Rom.«
Giovanni überhörte Alessandros bissige Bemerkung. »Fratres carissimi« , hob er sein Weinglas, »lasst uns unserem Freund Raffaello, der neu ist in Rom und unerfahren im sumpfigen Gelände vatikanischer Diplomatie, ein paar Überlebensregeln mit auf den Weg geben, die nicht nur die Fastengesetze betreffen.«
Giovanni klopfte ein Kissen zurecht und wandte sich mir zu. »Regel Eins: Ecce, nova facio omnia – Seht, ich mache alles neu! Kündige niemals an, etwas im Vatikan verändern zu wollen! Tu es einfach, und verrate es niemandem. Es wird niemand bemerken. Die alten Kardinäle dösen in ihren gepolsterten Sesseln wie Kardinal Colonna dort drüben …« Giovanni deutete auf einen älteren Kardinal, der auf seinen Kissen eingeschlafen war, »… und die jungen sind mit anderen, wichtigeren Dingen beschäftigt. Alessandro turtelt mit Silvia, und Rafaele gewinnt im Glücksspiel so viel Geld, dass er sich einen Palazzo davon bauen kann.«
»Und du, Giovanni? Du regierst Rom, wenn Julius Caesar seine gallischen Kriege gegen die Franzosen führt!«, witzelte Rafaele Riario. Er schien seinen Cousin Giuliano della Rovere nicht besonders zu lieben.
»Regel Zwei!«, fuhr Giovanni fort. »Jeder Mensch hat, ähnlich den Metallen, einen individuellen Schmelzpunkt, ab dem er bestechlich wird. Halte deinen Schmelzpunkt so niedrig wie den des Goldes, das man dir zusteckt.«
»Sein Vater Lorenzo il Magnifico sammelte kostbare Gemmen und Edelsteine, Giovanni sammelt Stimmen. Er hat mehr Stimmen im nächsten Konklave als Dukaten in der Tasche«,
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