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Der Fürst der Maler

Der Fürst der Maler

Titel: Der Fürst der Maler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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genannt. Ich war in den Stanzen gewesen, um an den Skizzen für das Letzte Gericht zu arbeiten, und hatte ihren Streit durch die offenen Fenster gehört.
    Julius war explodiert und hatte ihn unbeherrscht mit seinem Stock geschlagen. Zwei heftige Wirbelstürme waren aufeinander geprallt und hinterließen ein Feld der Vernichtung. Die Opfer ihres Kampfes waren Michelangelos Seelenruhe und Julius’ Geduld. Michelangelo hatte zornig die Sixtina verlassen und war nach Hause gegangen. Ich befürchtete, dass er erneut die Flucht nach Florenz versuchen könnte. Und dass Julius auf die Idee kommen könnte, in seinem Zorn mir die Fresken der Sixtina aufzuschwatzen.
    Monsignor Paris de Grassis, der wie Kerberos vor der Tür des päpstlichen Vorzimmers wachte, hatte mich ungeduldig begrüßt: Julius erwarte mich bereits.
    Als ich das Vorzimmer betrat, kam mir Francesco entgegen.
    Zornig und unbeherrscht stürmte er aus dem Arbeitszimmer seines Onkels und rannte mich beinahe um.
    Als er mich sah, blieb er stehen.
    Francesco hatte sich verändert in den Monaten, in denen wir uns nicht gesehen hatten. Er war jetzt zwanzig Jahre alt und seit zwei Jahren Herzog von Urbino und Bannerträger der Kirche. Jede Handbreit ein selbstbewusster Herrscher – aber kein selbstbeherrschter! Jeder Zoll ein siegreicher Heerführer, seiner Macht bewusst. Und doch unfähig zu der Stärke, sich selbst zu besiegen. Sich selbst zu bescheiden. Sich selbst zu besinnen auf das, was er die ganze Zeit schon war.
    »Raffaello!«, sagte er. Nichts weiter, jedenfalls nicht mit Worten. Er kam mir keinen Schritt entgegen, umarmte mich nicht, küsste mich nicht.
    Wie tief musste ihn unser Abschied in der Stanza vor zwei Jahren verletzt haben!
    Ich verneigte mich dem Protokoll entsprechend vor dem Herzog von Urbino. »Euer Exzellenz.«
    Er starrte mich an. Er rang mit sich, ballte seine Fäuste, als wollte er mich schlagen. Unbeherrscht wandte er sich ab und eilte die Loggia entlang. Ohne ein Wort.

    Ich sprang vom Pferd, reichte die Zügel einem meiner Leibwächter und klopfte an die Tür. Während ich wartete, sah ich mich um.
    Macello dei Corvi bedeutet ›Rabenfeld‹. Und die Gegend, in der Michelangelo wohnte, war früher eine Hinrichtungsstätte gewesen, die seitdem wenig von ihrem unvergleichlichen Reiz verloren hatte. Streunende, struppige Katzen: Das waren seine Nachbarn.
    Ich klopfte erneut. Niemand öffnete.
    »Michelangelo!«, rief ich.
    Keine Antwort.
    Die Tür war offen, und ich betrat das Haus. Die kleine Werkstatt im Erdgeschoss war wüst und leer. Es herrschte dasselbe Chaos wie in der Bottega an der Piazza San Pietro: Hämmer, Meißel und Schlageisen lagen über den Boden verstreut. Ein paar Papiertüten mit Farben und zerraufte Pinsel auf einem Werktisch.
    Ich stieg die Holztreppe hoch in den ersten Stock und fand ihn in seinem Schlafzimmer. Er packte seine Reisetruhen, stopfte ein paar ungewaschene Hemden in eine Tasche.
    »Hat er dich zum päpstlichen Legaten ernannt?«, fauchte er mich an, als ich den Raum betrat. »Sollst du mich zur Vernunft bringen?«
    »Nein.« Ich setzte mich auf das Bett, um ihm beim Packen zuzusehen.
    Er war verblüfft und hielt inne. »Nein? Weshalb bist du dann hier?«
    »Ich soll dir in seinem Namen eine gute Reise wünschen. Er nimmt an, dass du nach Florenz zurückkehrst …«
    »Ja«, knirschte Michelangelo.
    »Dann hast du ja für die Entwürfe der Deckenfresken keine Verwendung mehr. Julius wünscht, dass du vor deiner Abreise seine Kartons in die Sixtina bringst. In seine Kapelle«, sagte ich. »Das soll ich dir ausrichten.«
    » Seine Kartons? Ich habe sie entworfen!«, brüllte Michelangelo. Dann hielt er inne und starrte mich an – bestürzt. »Er hat dir den Auftrag für die Sixtina gegeben, nicht wahr?«
    »Ja«, bekannte ich.
    »Du wirst sie nach meinen Entwürfen ausmalen?«
    »Sobald ich das Letzte Gericht vollendet habe. Giulio Romano und Gian Francesco Penni werden mir dabei helfen …«
    »Du lässt Giulio an meine Entwürfe? Und Gianni, dieser … dieser …«, er rang um Worte.
    »Sie sind die besten Freskomaler in Rom …«, verteidigte ich meine ehemaligen Schüler. »… nachdem du dich entschlossen hast, nach Florenz zurückzukehren.« Ich erhob mich von seinem Bett und ging zur Tür, als könnte ich es nicht erwarten, die Fresken in der Sixtina zu beginnen. Seine Fresken. In der Tür wandte ich mich um. »Wirst du Piero Soderini bitten, dir den Großen Ratssaal anzuvertrauen? Meine Kartons

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