Der Fürst der Maler
Deinen Worten hätte ich nicht geglaubt. Aber dieses Bild von Herakleitos – das ist das schönste Kompliment, das du mir je gemacht hast! Jetzt weiß ich, dass du die Sixtina vollenden kannst. Du beherrschst meine Manier vollkommen.«
Ich antwortete nicht, sah ihn nur an. Jedes Wort war überflüssig.
»Diese zweite Antwort, die du mir auf meine Frage gabst – das Bild des Jesaja –, das sagt mir, dass du die Sixtina nicht vollenden wirst.«
»Nein, ich will sie nicht vollenden. Das ist deine schicksalhafte Aufgabe, Gottesknecht«, lächelte ich. »Und nun lass uns zusammen in die Thermen gehen, um den Staub und die Farben abzuwaschen. Mach wieder einen Menschen aus dir, und freue dich morgen, wenn die Sixtina enthüllt wird, über das Staunen der Völker und die Demut der Könige.«
Felice nahm meine Hand, und ich half ihr von der umgestürzten Säule herunter. Sie sprang direkt in meine Arme. Ich fing sie auf und hielt sie fest. Ihr Lächeln war verführerisch, und ich war versucht, sie zu küssen, als ich sie in meinen Armen hielt. Sie schien enttäuscht, als ich es nicht tat.
Felice und ich hatten den Nachmittag bei einem Ausflug auf dem Forum Romanum verbracht, dann waren wir auf den Palatin hinaufgestiegen, wo ich ihr meine Ausgrabungen in den Ruinen des Kaiserpalastes gezeigt hatte.
Seit der Besichtigung der Sixtinischen Fresken vor drei Wochen und der Abreise ihres Vaters und seiner beiden Heerführer, Herzog Francesco und Kardinal Alidosi, wenige Tage später, hatten wir uns ein paar Mal getroffen. Ihr Gemahl Gian Giordano Orsini begleitete den Papst auf seinem Feldzug gegen Ferrara nur bis Perugia, dann wollte er in seine Festung Bracciano zurückkehren, wo er Felice in einigen Tagen erwartete.
Orsini hatte sich erneut mit Julius angelegt. Der Papst hatte seinem Schwiegersohn die Exkommunikation angedroht, weil er sich geweigert hatte, an diesem Feldzug teilzunehmen. Felice hatte ihren Gemahl vor dem Anathema gerettet. Auf den Knien hatte sie ihren Heiligen Vater angefleht, Gian Giordano Orsini zu verschonen – sie, die stolze Felice della Rovere!
Felice wollte am nächsten Morgen nach Bracciano aufbrechen. Es war unser letzter Nachmittag. Wir würden uns lange, sehr lange nicht sehen.
»Ich hatte gehofft, du würdest zum Abschied sagen: ›Bitte bleibe bei mir. Ich liebe dich‹«, flüsterte sie.
Wir wurden beobachtet, und so ließ ich sie los. Orsini hatte seine Agenten überall – fürchtete er doch nicht zu Unrecht, dass sein Schwiegervater die bewährten Methoden der Borgia – Gift oder Dolch – übernehmen könnte, um aufsässige Gefolgsleute und unerwünschte Schwiegersöhne loszuwerden.
Schweigend gingen wir hinüber zur Kirche Santa Maria in Cosmedin neben dem Tempel des Hercules Victor auf dem Forum Boarium. Sie hielt meine Hand. An der Vorhalle der Kirche blieb sie stehen und zog mich hinein. Unsere Begleiter blieben hinter uns zurück.
»Das ist die Bocca della Verità«, erklärte sie, als wir allein waren. »Die Römer glauben, dass jeder, der die Unwahrheit sagt, seine Hand im Mund der Wahrheit verlieren wird.«
In die linke Mauer der Vorhalle war eine mannshohe, runde Marmorskulptur eines Götterantlitzes eingelassen. Wallende Haare umgaben ein geheimnisvolles Gesicht mit dunklen Augen und einem weit geöffneten Mund. Wir traten an die Maske.
»Sag mir, dass du mich liebst«, flüsterte sie.
»Ich liebe dich«, sagte ich und küsste sie zärtlich.
Sie lächelte glücklich, fast euphorisch. Dachte sie, ich würde sie bitten, in Rom zu bleiben? »Beweise es«, forderte sie übermütig und nahm meine Hand, um sie in den Mund des Gottes zu legen.
»Bedarf die Liebe eines Beweises?«, fragte ich sie.
»Diskutiere nicht mit mir, du Philosoph, und lege deine Hand in die Maske!«, forderte sie lachend.
»Nein«, wehrte ich ab.
»Warum nicht? Weil du nicht nur mich liebst, sondern auch Eleonora und Fioretta und Violetta und all die anderen, von denen du nicht einmal den Namen weißt?«
»Die Nacht mit Sappho war eine Dummheit«, bekannte ich.
So wie jeder schöne Traum nicht die Wirklichkeit ist! Aber was ist der Mensch ohne seinen Traum von der Liebe? Staub und Schatten.
»Das ist wahr. Diese Nacht war eine Dummheit«, stimmte sie mir zu. Aber sie schien etwas anderes zu meinen als ich.
»Du weißt, wer sie war?«, fragte ich Felice.
»Sappho war ein Geschenk – zum Fest der Liebe.«
»Ein Geschenk? Von wem?«, fragte ich überrascht.
Felice lächelte
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