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Der Fürst der Maler

Der Fürst der Maler

Titel: Der Fürst der Maler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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für den Triumph der Freiheit lagern noch in den Kellerräumen der Signoria. Wenn du willst, überlasse ich sie dir …«
    »Nein!«, brüllte er. »Niemals! Und ich verbiete dir, Gianni und Giulio meine Decke malen zu lassen.«
    » Deine Decke, Michelangelo? Es ist erst deine Decke, wenn du sie vollendet hast! Im Moment ist es meine Decke, und ich kann damit tun, was ich will«, provozierte ich ihn. »Und ich habe entschieden, dass Gianni und Giulio Die Trennung von Licht und Finsternis und Die Erschaffung des Menschen vollenden. Basta! «
    »Niemals!«, übertönte er mich. »Sie verstehen die Entwürfe nicht! Sie werden alles zerstören, was ich erschaffen habe! Sie werden zwei Jahre mühevoller Arbeit zunichte machen! Warum malst du es nicht, Raffaello? Du verstehst mich …«
    »Ich habe keine Zeit, Michelangelo. Ich habe zu viel zu tun, komme doch jetzt kaum noch zum Schlafen.« Ich machte eine kleine Pause, um ihm Zeit zum Nachdenken zu geben. »Ich könnte Leonardo bitten, nach Rom zu kommen. Er hat keine Aufträge in Mailand und langweilt sich. Nach Florenz will er nicht zurückkehren. Leonardo würde deine Entwürfe verstehen …«
    »Nein!«, brüllte er.
    Ich legte meine letzte Kohle in die Glut. »Oder Bramante …«
    Er ließ sich auf das Bett fallen und barg das Gesicht in seinen farbfleckigen Händen. »Wie sehr musst du mich hassen, Raffaello! Wie kannst du mir einen solchen Vorschlag machen!«
    »Ich hasse dich nicht, Michelangelo.« Ich setzte mich neben ihn.
    »Aber Julius hasst mich. Bei jeder Gelegenheit streitet er sich mit mir.«
    »Seltsam! Ich dachte, ich hätte heute Morgen zwei Stimmen gehört, die sich anschrien«, erwiderte ich.
    »Er hat mich einen ›unbehauenen Marmorklotz‹ genannt.«
    Ich verlor die Geduld. »Und wie hast du ihn genannt? Einen ›eroberungssüchtigen Tempelritter‹.«
    »Er hat mich geschlagen!«
    »Ihr habt dieselbe Terribilità. Aber nicht dieselbe Grandezza. Denn er entschuldigt sich bei dir.«
    Wie lange hatte ich auf Julius einreden müssen, um ihm dieses Eingeständnis abzuringen! Er war so zornig, dass er mich am liebsten auch hinausgeworfen hätte.
    Ich erhob mich.
    Michelangelo sah zu mir hoch. Ich sah das Erschrecken in seinem Blick. Dachte er, dass ich schon aufgeben und ihn gehen lassen wollte?
    »Die Sixtina ist noch nicht vollendet«, begann er zögerlich.
    An der Tür wandte ich mich zu ihm um. »Die Sixtina wird nie vollendet sein, wenn du sie nicht vollendest.«
    »Er will mich demütigen.«
    »Er will deine Fresken der Welt zeigen. Seht her, das hat Michelangelo gemalt: ad maiorem gloriam meam – et suam.
    Er zieht in den Krieg, Michelangelo! In wenigen Tagen wird er Rom verlassen – für Monate. Er fürchtet, deine Fresken vielleicht nie mehr vollendet sehen zu können. Komm zurück und zeige sie ihm!«

    Sappho, meine Sappho, wer bist du? Wohin bist du entschwunden? Und warum?
    Ich saß allein in der Stanza della Segnatura und skizzierte Entwürfe für das Gesicht der Sappho.
    Nach Fertigstellung des Numine Afflatur hatte ich meinen Schülern ein paar Tage freigegeben. Polidoro hatte im Morgengrauen seine Taschen gepackt und war nach Caravaggio gereist, um seine Verwandten zu besuchen, Raffaellino war auf dem Weg nach Venedig, und Gian Antonio Sodoma hatte mich gebeten, mich um seine Muse, die Eselin Thalia, zu kümmern, solange er in Siena war.
    Auch ich war dankbar für ein paar freie Tage. Es war zu heiß zum Malen: Die Sommerhitze lag wie flüssiges Blei zwischen den Hügeln Roms. Agostino hatte mich eingeladen, ihn nach Tivoli zu begleiten, um vor der alljährlich in Rom grassierenden Malaria zu entfliehen.
    Michelangelo betrat den Raum. »Hast du einen Augenblick Zeit, Raffaello?«, fragte er leise.
    »Ja, natürlich. Komm herein!«
    Zögernd betrat er die Stanza, blieb vor dem Numine Afflatur stehen. »Es ist großartig! Die unverputzte Wand, wo du Sappho malen willst, ist wie ein Riss in deiner Welt, aus dem der Sinn deines Lebens hinausströmt und sich im Nichts verliert. Sogar nonfinito ist es einzigartig!«
    Ich saß hinter dem Zeichentisch und beobachtete ihn.
    ›Der Sinn meines Lebens hinausströmt …‹, dachte ich amüsiert und verzog die Lippen. Sehr poetisch! Doch – hatte er so Unrecht? Als Sappho so plötzlich in meinem Leben erschienen und wenige Stunden später wieder verschwunden war, hatte sie etwas mitgenommen: meine Seelenruhe.
    Michelangelo kam zu mir herüber. Er war erregt, stieß beinahe den Stuhl um, als er

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