Der Fürst der Maler
der Liebe. Beide müssen in Theorie und Praxis erlernt werden, um sie zur Vollendung zu bringen. Aber im Gegensatz zu deiner wunderbaren Malerei führt deine Art zu lieben hinab ins Inferno!‹
Die Kunst der Malerei hatte ich zur Perfektion gebracht. In der Kunst des Liebens war ich immer noch ein Anfänger! Doch was hatte Leonardo mir in Florenz geraten, um aus dem Inferno zu entfliehen? Ich sollte fliegen lernen. Ich war geflogen – und der Flug hatte mit einem Sturz aus dem Himmel bis hinab ins Inferno geendet! Doch: Welcher Weg führte aus dem Hades hinaus?
Als ich wenig später meinen Palazzo verließ, um mich mit Agostino in der Villa Chigi zu treffen, schien alles zu sein wie sonst. Eine Herde ehrgeiziger junger Maler erwartete mich seit dem Morgengrauen, um mich um Skizzen zu bitten, um mich zu geleiten, wohin auch immer ich ging. Diese Verrückten!
Ich ließ sie hinter mir zurück und ging zum Ufer des Tiber.
Vor Monaten war ich um diese Zeit unterwegs in den Vatikan gewesen. Ich hatte keine Zeit für den Sonnenaufgang gehabt, die ersten tastenden Strahlen der Sonne über dem Horizont, das erste zaghafte Zwitschern der Vögel. Ich war auf dem Weg, so wie ich mein ganzes Leben lang auf dem Weg gewesen war, ohne stehen zu bleiben. Entwürfe, Kompositionen, Kartons. Hunderte von Skizzen: Hände, Arme, Füße, Beine, bewegte Körper, Gesichter, ein Lächeln, das nicht wirklich war. ›Die Malerei ist die Anbetung von Gottes Werk‹, hatte Fra Bartolomeo in Florenz gesagt. Doch was hatte die Malerei mit dem wirklichen Leben zu tun? Nichts. Sie war die idealisierte Abbildung, eine farbenfrohe Spiegelung von … von nichts. Staub und Schatten. Dramatische Gesten ohne Bedeutung, ohne Kraft, ohne einen Funken Leben. Ein Lächeln ohne Sinnlichkeit. Und ohne Sinn. Ein Gebet ohne Worte.
In Florenz hatte ich die Syntax gelernt, die Grammatik, die Definition von Subjekt und Objekt, die Deklinationen des Menschen, die Relation zu seiner Welt, die Konjugation seiner Handlungen. Ich beherrschte die Sprache der Malerei, die Sprache der Menschen und der Engel, und doch fehlten mir so viele Worte, um mich ausdrücken zu können. Ich wollte die Worte finden! Und das Leben – das unsterbliche, lebendige Leben, das Leonardo so verzweifelt mit der Spitze seines Skalpells suchte! Wenn ich es fand – vielleicht würde ich dann wieder malen können.
Es war ein warmer Frühlingstag. Der Tiber schimmerte im Licht der aufgehenden Sonne wie der Fluss Styx. Ich beugte mich gedankenverloren über die Steinbrüstung des Lungotevere und starrte in die Fluten. ›Alles fließt‹, schrieb Herakleitos, ›alles verändert sich, nichts bleibt, wie es war.‹ Doch kehrt nicht irgendwann alles zum Anfang zurück?
Wenn ich stromaufwärts dem Tiber folgte, würde ich in meine eigene Vergangenheit gehen. Perugia lag am Tiber und Città di Castello. Und von dort war es nicht mehr weit bis Urbino. Das war alles endlos weit entfernt – unerreichbar. Stromabwärts: die Tibermündung, das Meer. Die Zukunft. Sehr viel kürzer als die Vergangenheit. Und unerforscht – dort, am Meer, war ich noch nicht gewesen …
Ich wandte mich um und lief los. Ich ging am Palazzo Farnese vorbei und überquerte den Tiber auf dem Ponte Sisto. Ich ließ die Villa Chigi an den Hängen des Gianicolo hinter mir, passierte die Ripa Grande, den Hafen von Rom, und verließ die Stadt.
Ich wanderte hinaus in die flache Ebene. Die Sonne stand nun höher und warf blauschwarze Schatten über meinen Weg am Flussufer.
Eine leichte Brise fuhr über mein Gesicht. Ich öffnete die Seidenschleife und ließ meine Haare über die Schultern fallen. Der Wind duftete nach Erde, nach Gras, nach … Freiheit!
Ich ging weiter den Fluss hinunter. Meile um Meile.
Über nichts machte ich mir Gedanken, vor allem nicht über ein Umkehren, ging einfach weiter und nahm alles in mich auf, wie ich es wahrnahm. Meine Sinne waren offen, und die Leere in mir füllte sich. Zum ersten Mal seit Jahren spürte ich nicht das Leder der Stiefel, die ich trug, oder den Stoff der Kleidung auf meiner Haut, nicht den Ring an meinem Finger, sondern mich selbst. Das war der Unterschied: Ich hatte keine Gefühle und Empfindungen – ich konnte sie nicht festhalten, und sie verschwanden, als ich danach greifen wollte. Der Mensch hat nichts – außer sich selbst. Und der Fähigkeit, glücklich zu sein. Das Glück lässt sich nicht kaufen wie ein Geschenk, nicht besitzen wie ein Spielzeug, nicht festhalten
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