Der Fürst der Maler
häuften sich die Aufträge der Kardinäle, der Kaufleute und Bankiers, und meine Schüler arbeiteten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, um die Nachfrage befriedigen zu können. Ich tat nichts – außer die Bilder zu signieren.
Statt zu malen, kletterte ich durch die antiken Ruinen des Forum Romanum und des Colosseums und wanderte stundenlang allein die Via Appia Antica entlang. Die Vergangenheit war mir plötzlich wichtig geworden – sie war das Wichtigste in meinem Leben. Denn sie – anders als alles andere – veränderte sich nicht mehr. Sie stand fest. Unverrückbar wie ein Marmorblock. Unabwendbar wie mein Schicksal.
Das Zeichnen fiel mir schwer. Es lag nicht an der kratzigen Feder oder der Tinte, denn auch mit Silberstift oder Rötel und mit dem Umbrapinsel war es eine Qual. Die vierzehn zerknitterten, zerrissenen Blätter vor meinem Schreibtisch waren die Zeugnisse meines inneren Ringens. Und meiner Wut! Ungeduldig steckte ich die Feder in das Tintenfass, zerknüllte die fünfzehnte Skizze und warf sie zu den anderen.
In den letzten Monaten hatte ich Giannis und Gio’s und Giulios Blicke gesehen, beunruhigt, bedauernd – mitleidig! Ich hatte ihr Flüstern gehört, leise erst und zweifelnd, doch dann immer lauter:
»Er kann nicht mehr malen.«
»Er hat sein Talent verloren – über Nacht.«
»Die Götter haben ihren Liebling vom Olymp verbannt. Was mag er getan haben?«
»Papst Julius hat ihm die Flügel gestutzt, wegen seiner Affäre mit der Contessa Felice.«
»Nein, nein! Das ist eine Raffinesse von ihm, um die Preise zu verdoppeln. Morgen malt er wieder!«
Ich barg mein Gesicht in den Händen.
Der Sturz vom Olymp – es war dasselbe Gefühl wie damals, als ich mit Leonardos Flugmaschine aus dem Himmel über Florenz gefallen war. Nur der Aufprall war schmerzhafter und sehr viel qualvoller.
All die Geschenke, die Agostino mir in den letzten Monaten machte, hatten nicht die Leere in mir ausfüllen können. Ich wusste, was mir fehlte: das Glück und die Qualen der Kreativität, die Lust am Erschaffen von Formen und Farben, die Sehnsucht nach einer perfekten Perspektive, die Befriedigung bei der Fertigstellung eines Werkes.
Doch als ich zum ersten Mal den Stift in die Hand nahm, hatte ich erkannt, dass niemand mit Farben malen kann, dessen Leben im Goldglanz ertränkt wurde, dass niemand eine Perspektive zustande bringt, der nicht selbst eine hat, dass niemand eine aufrechte, kontrapostische Haltung zeichnen kann, der nicht selbst aufrecht steht. Die ersten Bildentwürfe waren das reinste Inferno! Linien, die nirgendwo hinführten, und Schatten, die ich weiß nicht woher kamen.
Bis zu diesem Augenblick hatte ich nicht begriffen, wie Michelangelo sich mit seiner Kunst so quälen konnte. Nun verstand ich es, ich, dem früher alle Skizzen leicht wie ein Frühlingswind von der Hand gingen. Ich schwankte nun selbst in diesem feurigen Sturm der Visionen, die mit Formen und Farben nicht darzustellen waren.
Ich zog ein neues Skizzenblatt zu mir heran. Dieses Mal versuchte ich es mit dem weichen Silberstift. Aber mehr als ein Knäuel von Linien und Schraffuren brachte ich nicht zustande – das Abbild meiner Gedanken, nicht das Bildnis der Nymphe Galatea, die auf ihrer von Delphinen gezogenen Muschel über das Meer rast, auf der Flucht vor dem verliebten Zyklopen Polyphemos. Auf der Flucht vor den Fesseln der Liebe! Agostino Chigi war ein großzügiger Freund, aber ein fordernder Auftraggeber. Er wollte das Fresko für seine Villa in diesem Sommer vollendet sehen. Ich wäre froh gewesen, wenn ich nur den Entwurfskarton bis zum Sommer fertig stellen könnte!
Ungeduldig warf ich den Silberstift auf den Tisch, zerriss die Skizze und warf sie zu den anderen auf den Boden meines Arbeitszimmers. Dann ging ich hinüber zum Bücherregal, wo ich meine alte Skizzenmappe mit den Zeichnungen aus Urbino, Perugia, Siena, Florenz und Venedig aufbewahrte. Ich blätterte die Skizzen durch, die weder thematisch noch chronologisch geordnet waren. Es war ein dicker Stapel von Federzeichnungen mit blauer und schwarzer Tinte, Skizzen in Rötel und Silber, mit Umbra schattiert, Pinselstudien, der Versuch eines Aquarells mit den Farben, die Albrecht Dürer mir in Venedig geschenkt hatte. Studien von jungen Frauen für Madonnenbilder, nackte Männer in Bewegung für dramatische, tragische Szenen, kleine Kinder für ein Bambino Gesù.
Dann hielt ich eine Zeichnung von Luca in der Hand. Luca, mein kleiner Luca! Und
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