Der Fürst der Maler
schlecht waren.«
»Wie können sie schlecht sein, wenn Julius in die Knie ging, als er sie sah? Er wird wütend sein, wenn er bei seiner Rückkehr aus dem Krieg erfährt, dass du die Entwürfe vernichtet hast.«
»Mit meinen Skizzen kann ich tun, was ich will. Und ich male, was ich will. Wenn ihn das zornig macht, muss er jemand anderen finden, der ihm seine Fresken nach seinen eigenen Entwürfen malt. Vielleicht lässt sich Michelangelo von ihm beschwatzen, nach der Sixtina die Stanzen auszumalen …«
Gianni hob die Augen in gespielter Verzweiflung zum Himmel und rang die Hände. »Mein Gott, das nicht! Nicht Michelangelos Launen! Dann doch lieber die Verrücktheiten meines Maestro!«
Andrea Sansovino hatte seine Bottega im Florentiner Viertel. Als ich nach dem Frühstück mit Gianni seine Werkstatt in der Via dei Coronari betrat, wo ich nach meiner Ankunft in Rom selbst für ein paar Monate gewohnt hatte, schlug er auf einen Hercules ein, als wollte er ihn, noch im Marmor gefangen und gefesselt, besiegen. Die Schläge von Hammer und Meißel hallten durch den Raum. Eins – zwei – drei – vier – einatmen – eins – zwei – drei – vier – ausatmen.
Andrea geruhte erst, mich zu beachten, als er seine Werkzeuge sinken ließ.
»Was willst du?«, fragte er, ohne Hercules aus den Augen zu lassen. Bevor ich antworten konnte, setzte er sein Schlageisen erneut an.
Eins – zwei – drei – vier.
»Einen Block«, sagte ich in der Atempause zwischen Andreas Schlägen. Ein Bildhauer ändert seinen Rhythmus nicht, nur weil sich jemand mit ihm unterhalten will. Die Worte müssen zwischen die Schläge passen.
Eins – zwei – drei – vier.
»Wofür?«, fragte Andrea.
Eins – zwei – drei – vier.
»Weiß ich noch nicht«, gestand ich ehrlich.
Eins – zwei – drei – vier.
»Such dir einen aus«, bat mich Andrea.
Im hinteren Teil der Werkstatt fand ich kleine und große Marmorblöcke aus Carrara und Seravezza. Mit der Kerze in der Hand prüfte ich die kristalline Struktur jedes Blocks.
Zusammen mit Jacopo Tatti, der sich wie sein Maestro Sansovino nannte, schleppte ich den Block ins Tageslicht, um ihn zu ›durchschauen‹, wie Baccio d’Angelo es nannte. Wie Michelangelo suchte ich die unerschaffene Form, die im Marmor verborgen lag.
Jacopo Tatti richtete den Block auf und drehte ihn in die rötlichen Strahlen der Frühlingssonne, damit ich ihn betrachten und bis ins Innerste erforschen konnte.
Der Marmorblock war perfekt. Er war drei Ellen hoch und aus reinstem Carrara-Marmor. Die wie frisch gefallener Schnee schimmernde Oberfläche war geglättet und hatte keine Beschädigungen an der äußeren Kristallhülle. Der Block schwang wie eine Glocke, als ich ihn anschlug. Aber das Beste an ihm war der Amor in seinem Inneren: ein junger Mann, halb Gott, halb Mensch, mit Engelsflügeln.
»Siehst du ihn?«, fragte ich Jacopo Tatti und deutete auf den Amor.
Jacopo sah mir über die Schulter. »Nein, ich kann nichts erkennen.« Obwohl er der Schüler eines Genies wie Andrea Sansovino war, hielt er mich offensichtlich für einen Verrückten, der Dinge im Marmor sah, die andere nicht erkennen konnten.
»Aber ich sehe ihn. Und ich werde ihn aus dem Stein befreien«, versprach ich ihm.
Als ich am nächsten Morgen mit meinem Werkzeug in Andrea Sansovinos Bottega auftauchte, hatte Jacopo den Block auf einen Werktisch neben den Hercules gewuchtet.
Andrea sah mir zu, wie ich die ersten vorsichtigen Schläge an meinem Block ausführte, um seine Härte zu testen. Der Marmor war nachgiebig, fast willenlos, als wollte er behauen werden. Als wollte der Amor in seinem Inneren befreit werden. Endlich.
Zusammen mit dem Amor, in dessen Sockel ich den Vers Amor vincit omnia gemeißelt hatte, schickte ich Felice drei Wochen später eine kostbare handschriftliche Ausgabe von Lucius Apuleius’ Märchen von Amor und Psyche. Mit dem Silberstift waren ein paar Worte unterstrichen:
»Geliebte! Narcissos hatte Recht: Wer sich nicht selbst liebt, kann keinen anderen Menschen lieben. Wer sich selbst liebt, braucht die Liebe anderer nicht, um zu überleben. Ich sende dir einen Amor, wie du ihn dir gewünscht hast: in Stein gehauen. Er wird sich nicht mehr verändern – so wie ich! Denn ich bin, der ich bin.« Auf der letzten Seite signierte ich meine Nachricht: »Ich, Raffaello.«
Selbst Giovanni de’ Medici, der Sohn Lorenzo il Magnificos, der nie gelernt hatte, einen Fiorino zwei Mal in die Hand zu nehmen, war
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