Der Fürst der Maler
saß mit Francesco an einem einfachen Eichenholztisch in der engen Zelle der Engelsburg und spielte Halma. Francesco ließ seine Spielsteine auf den Tisch fallen, als ich das stickige Verlies betrat. »Hast du mit ihm gesprochen, Raffaello? Was hat er gesagt?«
»Du sollst deine Schuld bekennen, dann wird er dich freilassen und vor ein Tribunal stellen, das dich rechtmäßig verurteilen wird.«
Francesco ließ seine Schultern sinken. »Dann hast du also nichts erreicht?«, fragte er leise.
»Doch, Francesco! Ich habe erreicht, dass du nicht heute Nachmittag hingerichtet wirst«, sagte ich. »Ohne ordentlichen Prozess.«
Baldassare Castiglione war bleich geworden, sagte aber nichts.
»Wer wird der Richter des Tribunals sein?«, fragte Francesco.
»Kardinal Giovanni de’ Medici wird über dich richten.«
Francesco sprang auf. »Dann haben die beiden Medici ihr Ziel erreicht! Sie haben lange genug darauf gewartet. Welch ein Triumph für die Medici! Aber der Lorbeer des Siegers wird blutig sein.« Er ging ein paar Schritte, bis zur Zellenwand, dann wandte er sich wieder um. »Ich werde also entweder von meinem eigenen Onkel ohne Prozess hingerichtet oder von Kardinal de’ Medici mit Prozess. Da fällt mir die Entscheidung schwer!«, sagte er sarkastisch. Dann wandte er sich an Baldassare Castiglione. »Signor Castiglione, Ihr seid mein Ratgeber in Stilfragen. Was soll ich tun?«
»Bekennt Eure Schuld, Euer Exzellenz!«, forderte Baldassare Castiglione. »Kardinal Alidosi ist tot. Ihr habt den Dolch geführt. Da gibt es nichts zu deuten.«
»Nein, daran nicht«, gestand Francesco nachdenklich. »Aber an der Rolle, die dieser Verräter im Spiel um die Macht gespielt hat.«
Julius war ein Krieger. In Bologna hatte er sich von Michelangelo mit dem Schwert in der Hand darstellen lassen, weil er nach eigener Aussage nichts von Büchern verstand. Doch er hatte sich geirrt. Julius wusste in den kommenden Tagen nicht nur das Schwert zu führen, sondern auch Breves zu verfassen und das Anathema zu verkünden. Anfang Juli veröffentlichte der Papst eine Bulle, mit der er für den April 1512 ein Konzil nach Rom einberief. Gleichzeitig erklärte er das Konzil von Pisa für unrechtmäßig. Jeder, der an der Versammlung der Kardinäle teilnahm oder Beschlüsse derselben in die Tat umsetzte, wurde von Papst Julius zum Ketzer erklärt und exkommuniziert.
Auch Francesco war ein Krieger – ein della Rovere, die nicht dafür bekannt waren, in ausweglosen Situationen aufzugeben. Er zögerte einige Tage, um seinem Onkel Zeit zum Nachdenken zu geben, doch dann bekannte er seine Schuld, Kardinal Alidosi ermordet zu haben. Stolz und aufrecht, mit funkelnden Augen und allen Insignien des Herzogs von Urbino und des Gonfaloniere der Kirche – die ihm eigentlich nicht mehr zustanden – erschien er vor dem Tribunal unter Vorsitz von Giovanni de’ Medici.
Nach dem ersten Verhandlungstag wurde er nicht in die Engelsburg zurückgebracht, sondern unter strengster Bewachung in der Residenz des Präfekten von Rom unter Hausarrest gestellt. Es war kein Sieg, aber ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Dachte ich …
Am zweiten Verhandlungstag prallten die Temperamente aufeinander, »wie damals, als mein Vater Lorenzo und Papst Sixtus IV . sich wegen der Investitur von Onkel Giuliano zum Kardinal zerstritten hatten«, sagte Giovanni, als wir abends eine Partie des Shah-Spiels in der Loggia seines Palazzo in der Via di Ripetta spielten. Er sah müde aus, der Prozess hatte ihn erschöpft. Nachdenklich wog er die Figur des Königs in seiner Hand. Er war am Zug. »Der Krieg der Medici gegen die della Rovere hätte damals beinahe einen Krieg zwischen Florenz und der Kirche entfacht. Der Rovere-Papst war der Anstifter der Pazzi-Verschwörung von 1478, bei der mein Vater und mein Onkel ermordet werden sollten.«
»Ich habe mich immer gefragt, warum Francesco deinen Bruder Giuliano trotz seines Hasses auf die Medici an seinem Hof in Urbino geduldet hat, ihm sogar Asyl gewährte, um ihn vor seinen Feinden in Florenz und Rom zu schützen. Und nun führst du den Vorsitz in einem Mordprozess gegen Francesco. Das ist … absurd!«
»Erneut prallen die Temperamente aufeinander, und wieder scheint eine Auseinandersetzung zwischen den della Rovere und den Medici unvermeidlich. Diesmal allerdings wird sich das Schlachtfeld nicht auf Florenz und Rom beschränken …«, sinnierte Giovanni.
»Nein, sicher nicht. Dafür haben zu viele Spieler ihre
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