Der Fürst der Maler
Assunta von Siena.«
»Das ist wahr, Euer Gnaden.«
»Man erzählt sich, dass Pinturicchio die Bibliothek nach deinen Entwurfskartons ausmalt.«
»Auch das ist wahr.« Ich dachte an die zehn Fresken in der Kathedrale von Siena, für die ich Bernardino die Entwürfe geliefert hatte. Damals hatte ich keinen Auftrag und half meinem Freund bei seiner Arbeit, die er allein nicht schaffen konnte.
»Außerdem erzählt man sich, dass Perugino beim Anblick deiner Vermählung der Jungfrau in Città di Castello vor Ehrfurcht in die Knie gegangen sei.«
Ich zog es vor zu schweigen.
In Wahrheit hatte Pietro versucht, mit seinem Gehstock auf das Bild einzuschlagen, hatte dabei das Gleichgewicht verloren und war auf die Knie gefallen. Das Bild hatte ihn in Zorn versetzt. Aber nicht, weil ich Joseph das Gesicht meines Vaters Giovanni Santi gegeben habe.
»Du bist bescheiden, Maestro«, fuhr Piero Soderini fort. »Jeder andere Maler hätte erwähnt, dass er die Herzogin von Urbino gemalt hat. Und eine Empfehlung für ein Porträt von Isabella d’Este ausgeschlagen hat, um ein Bild für den König von England zu malen.«
Ich dachte an das Bild des Heiligen Georg mit dem Drachen, das ich vor drei Monaten in Urbino als Geschenk für König Henry VII . von England vollendet hatte. »Ich bin nicht jeder andere «, gestand ich selbstbewusst.
Der Gonfaloniere schüttelte den Kopf. »Nein, du bist nicht wie jeder andere. Du hast bei Timoteo Viti in Urbino gelernt, bis dir der berühmteste Maler von Bologna nichts mehr beibringen konnte. Dann bist du nach Perugia zum größten Maler des Renascimento gegangen. Du bist bei Perugino geblieben, bis sich deine Bilder nicht mehr von den seinen unterschieden. Dein nächster Lehrer war Bernardino Pinturicchio in Siena, der Lieblingsmaler des verstorbenen Papstes Alexander. Und nun bist du in Florenz.«
»Ich will lernen …«
»Was denn noch?«
»Was Giotto und Masaccio mich lehren können.«
»Sie sind tot.«
»Leonardo und Michelangelo sind lebendig.«
»Das sind sie!«, antwortete der Gonfaloniere mürrisch. »Aber beide malen nicht mehr. Leonardo baut Flugmaschinen und Boote, die unter Wasser fahren können, und Michelangelo hat vor wenigen Tagen seinen David vollendet. Er hält das Wort ›Maler‹ für eine Beleidigung seiner bildhauerischen Fähigkeiten.«
»Ich will malen«, erinnerte ich Soderini.
Er sah mich nachdenklich an. Dann ergriff er eine silberne Glocke, die zwischen dem Tintenfass mit den Federn und dem Sandstreuer auf seinem Schreibtisch stand, und klingelte.
Ein Mann im purpurfarbenen Ornat mit ärmellosem schwarzem Samtüberwurf erschien wenige Augenblicke später in der Tür und trat näher. Er war eine Handbreit kleiner als ich und nahm doch mehr Platz auf dieser Welt ein als viele andere Menschen – ob Herzöge oder Kardinäle –, die ich in Urbino, Florenz und Rom kennen gelernt habe. Sein Lächeln war wie in Marmor gemeißelt. Sein Blick war scharf und durchdringend – er schien alles auf einmal zu erfassen: Mimik, Gestik, Haltung, Intention. Selbst meine Gedanken …
»Niccolò, dies ist Raffaello Santi aus Urbino. Maestro, darf ich dir Niccolò Machiavelli vorstellen, den Staatssekretär der Republik? Signor Machiavelli wird dir ein Stipendium von fünfzig Fiorini auszahlen. Und er wird dir behilflich sein, eine Bottega in Florenz zu finden.«
»Das ist sehr großzügig von Euch, Euer Magnifizenz!« Ich zögerte. »Was ist mit dem Auftrag …?«
Niccolò Machiavelli zog mich aus dem Saal, bevor der Gonfaloniere wie eine Bombarde explodieren konnte.
Kein Morgen! Kein Vielleicht!
Wütend und enttäuscht verließ ich die Signoria und überquerte die Piazza. Die zweite Absage an diesem Tag! In einer Stadt wie Florenz zu arbeiten war eine Herausforderung – in einer Stadt wie Florenz nicht zu arbeiten war eine Demütigung.
An der Stelle, wo vor sechs Jahren Savonarola verbrannt worden war, hatte einer seiner Anhänger in memoriam mortui eine Hand voll Asche auf das Pflaster der Piazza gestreut. Als ich von der Piazza della Signoria in die Straße zum Dom einbiegen wollte, um zum Palazzo Taddei zurückzukehren, kam mir ein Lastenzug entgegen, der beinahe die gesamte Straßenbreite einnahm.
In dem riesigen Holzgerüst hing in breiten Lederriemen die größte Statue, die jemals quer durch eine Stadt transportiert worden war. Dreißig oder vierzig kräftige Männer zogen das Gerüst, das langsam über untergeschobene Baumstämme bewegt wurde. Auf dem
Weitere Kostenlose Bücher