Der Fürst der Maler
zurück, um seinen nächsten Spielzug in diesem unendlichen Spiel um die Macht vorzubereiten.
Agostino Chigi fand mich auf dem Malgerüst in Santa Maria della Pace, wo ich für ihn ein Fresko der Sibyllen und Engel in der Cappella Chigi malte. Nachdem der ›Wettstreit der Propheten‹ zwischen Jesaja in Sant’Agostino und Daniel in der Sixtina zwischen Michelangelo und mir unentschieden blieb, war ich zu meinem eigenen, unverwechselbaren Malstil zurückgekehrt.
Agostino hatte mich gebeten, die Kapelle zu freskieren, aber sein Verwalter war sich mit Gianni nicht über die Kosten einig geworden. Und so hatte Agostino beim gemeinsamen Mahl am vorigen Abend in seiner Gartenloggia vorgeschlagen, den Wert des Freskos durch einen Experten schätzen zu lassen. Ich hatte zugestimmt. An diesem Morgen wollte Agostino das Fresko besichtigen.
Während ich auf dem Gerüst malte, saß Marcantonio Raimondi unten auf einem Klappstuhl und skizzierte mich – nicht das Fresko. Das war seine neueste Erfindung: nicht mehr den ›echten Raphael‹ zu reproduzieren, sondern mich selbst bei der Arbeit zu verewigen. Erst vor wenigen Tagen hatte er mir einen Kupferstich gezeigt, der mich während der Siesta bei einem kurzen Nickerchen zeigte. Lachend hatte ich ihm verboten, diesen Stich zu veröffentlichen, aber wahrscheinlich hielt er sich, wie immer, nicht daran. Seine Werkstatt arbeitete zwar exklusiv mit meiner Impresa zusammen, aber Marcantonio war ein geschäftstüchtiger Bologneser.
Ein paar Schritte weiter saß mein neuer Schüler Lorenzetto di Ludovico neben Polidoro und Perino am Werktisch und überarbeitete die beiden Skizzen, die ich für die Marmorstatuen in der Apsis der Kapelle angefertigt hatte. Michelangelo hatte sich amüsiert, als ich ihm bei einem unserer Mittagessen auf dem Gerüst der Sixtina erzählte, dass ich einen Bildhauer als Schüler aufgenommen hatte. »Einen Scultore? Du, ein Maler?«, hatte er gelacht und mich damit aufgezogen. Das Lachen war ihm vergangen, als er Lorenzetto kennen lernte und erfuhr, dass er bereits ausgelernt hatte und freiwillig in meine Impresa eingetreten war. Lorenzetto war ein aufgeweckter junger Mann, der meine Skizzen und Entwürfe für Statuen und Reliefs schnell begriff und noch schneller in Marmor meißeln konnte. Sein erstes Werkstück hatte mich überzeugt.
Giulio reichte mir ein neues Gefäß mit roter Farbe, und ich begann, das Gewand der Cumaeischen Sibylle auf den frischen Verputz zu malen.
Giulio hatte vor wenigen Tagen seine Prüfung zum Maestro della Pittura abgelegt, und ich hatte ihn, wie alle anderen, mit einem Anteil am Gewinn meiner Impresa beteiligt. Er war der beste meiner Schüler, besser noch als der allgegenwärtige Gianni, und ich hatte ihn zu meinem Assistenten ernannt. Maestro Giulio Romano folgte mir überall hin, in die Stanzen, in die Villa Chigi, nach Sant’Agostino, auf die Baustellen von San Pietro, Santa Maria dell’Anima, Santa Maria del Popolo, Santa Maria della Pace. Sein Weg endete spätabends erst vor meiner Schlafzimmertür. Die Witze, die die anderen Maestros darüber rissen, ignorierten wir beide.
Es war Mittag, und ich hatte das Gewand der Cumaeischen Sibylle fast vollendet, als Agostino Chigi die Kirche betrat. Marcantonio, Lorenzetto und die anderen erhoben sich ehrfürchtig.
» Salve, Maestro«, rief Agostino zu mir herauf.
» Salve, Agostino. Warte, ich komme zu dir herunter!«, rief ich und kletterte vom Gerüst. Giulio folgte mir die Leiter herunter.
»Dein Fresko gefällt mir«, gestand Agostino und deutete auf die Sibyllen und Engel. »Es ist das Beste, das du je gemalt hast.«
»Lass dich nicht zu voreiligen Äußerungen hinreißen, Agostino!«, neckte ich ihn. »Das könnte den Preis weiter in die Höhe treiben!«
»Maestro Penni ist nicht hier, um mir mein letztes Hemd auszuziehen. Dein Fresko wird mich also nicht völlig ruinieren«, lächelte er.
Ich sah mich um. »Wo ist dein Experte für die Schätzung?«
Agostino deutete auf das Kirchenportal. »Da kommt er.«
In diesem Augenblick betrat Michelangelo die Kirche.
Es war, als ob ein Stein in ruhiges Wasser fiel: Er schlug konzentrische Wellen. Ich sah die Reaktionen auf den Gesichtern von Giulio, von Perino und Polidoro, von Marcantonio und Lorenzetto. Ich sah alle Schattierungen von Verachtung, Neid und Hass, die Michelangelo entgegenbrandeten.
Er stand sehr aufrecht im Kirchenportal, mit hochgezogenen Schultern, sprungbereit. Er spürte die Gefühle, die er
Weitere Kostenlose Bücher