Der Fürst der Maler
bei den anderen hervorrief. Und er hatte Angst, die er hinter der Maske eines marmornen Lächelns zu verbergen suchte – Angst vor der Feindschaft meiner Schüler und Gehilfen und Angst davor, dass sie mit ihrer Reaktion auf seinen asketischen, selbstverleugnenden Lebenswandel Recht haben könnten.
Michelangelo war neben mir der reichste Maler Roms. Er hatte für die sixtinischen Fresken im Laufe der Jahre ebenso viele Dukaten erhalten wie ich für die Stanzen. Aber während ich in einem prächtigen Palazzo in der Via Giulia residierte und mit Agostino Chigi und Giovanni de’ Medici zu Abend aß, hauste er in seinem abbruchreifen Haus auf dem Esquilin, leistete sich keinen Diener und kein Pferd, lebte von trockenem Brot und Wasser und arbeitete unablässig an seiner Heiligenlegende. Meine Freunde nannten ihn nur noch verächtlich Il Papabile, als würde sich Michelangelo im nächsten Konklave um den Thron Petri bewerben.
Michelangelo war im Portal der Kirche stehen geblieben und keinen Schritt näher gekommen. Ich ging zu ihm hinüber, umarmte und küsste ihn. » Salve, Michelangelo mio «, begrüßte ich ihn herzlich.
»Buon giorno« , brummte er mit einem Seitenblick auf Perino und Polidoro.
Agostino begrüßte Michelangelo durch ein Nicken. »Ich bin dir zu Dank verpflichtet, Maestro Michelangelo, dass du dir heute Morgen die Zeit nimmst, dieses Fresko von Raffaello zu schätzen.«
»Es ist mir eine Ehre, Signor Chigi.« Michelangelo verneigte sich vor Agostino. Er sah nicht glücklich aus, eines meiner Fresken schätzen zu müssen. Aber Chigi war zu mächtig, um seine Bitte rundweg ablehnen zu können. Sicherlich erinnerte sich Michelangelo an das letzte Mal, als ich im Palazzo Taddei in Florenz eines seiner Werke schätzen sollte und wir uns über den Preis, den Taddeo an Michelangelo zahlen sollte, in die Haare geraten waren …
Agostino gab ihm den Weg frei, und Michelangelo trat zur linken Seitenwand der Santa Maria della Pace zurück, um das noch nicht ganz vollendete Fresko zu schätzen.
Ich gab Marcantonio und meinen Gehilfen einen Wink, eine Pause zu machen, und sie verschwanden lautlos im Kreuzgang. Wie gerne wären sie geblieben!
Minutenlang stand Michelangelo schweigend neben mir und betrachtete die Propheten, Sibyllen und Engel. Dann trat er direkt vor die kleine Marmorapsis unterhalb des Freskos, und schließlich ein paar Schritte nach links, um das Wandbild aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Gegen das Licht prüfte er die Glattheit des Verputzes, die Zahl der Giornaten – der Tageseinheiten –, den Glanz der Farben und noch viele andere technische Details. Schließlich kehrte er nachdenklich an seinen Platz an der linken Seitenwand der Kirche zurück und starrte weiter auf das Fresko. Ohne ein Wort zu sagen.
Agostino wurde unruhig. »Nun, Maestro Michelangelo? Wie viel ist dieses Fresko wert?«
Michelangelo antwortete zuerst nicht. Er deutete auf die Propheten Hosea, Jonas, Daniel und David oberhalb der Sibyllen und Engel. »Wer hat die Propheten gemalt?«
»Timoteo Viti. Nach meinen Entwürfen«, erklärte ich.
»Timoteo malt jetzt besser. Du hast einen richtigen Freskomaler aus ihm gemacht«, sagte Michelangelo anerkennend.
Wie gut, dass Timoteo ihn nicht hören konnte! Maestro Viti war mein erster Lehrer gewesen, und Michelangelo hatte ihn gerade als meinen Schüler bezeichnet.
»Du hast die Sibyllen anders dargestellt als ich in der Sixtina«, begann Michelangelo. »Sie lesen nicht selbstversunken in ihren prophetischen Büchern, sondern sehen die geflügelten Engel an, die ihnen Schriftrollen überbringen. Ich kann ein paar Fragmente der Apokalypse und der Evangelien entziffern.«
Michelangelo war wieder ganz in die Betrachtung der Bewegungen, der Worte und Bedeutungen vertieft. Schließlich holte er Luft, um etwas zu sagen. Doch dann schwieg er wieder und setzte die Betrachtung fort. Er machte es sich nicht leicht!
»Oben auf dem Apsisbogen kniet ein Engel mit der eleusischen Fackel als Symbol für die Einweihung in die Geheimnisse der geistigen Welt«, murmelte er nachdenklich.
»Nun, Maestro Michelangelo: Wie viel ist dieses Fresko wert?«, fragte Agostino schließlich erneut.
»Die technische Ausführung ist perfekt, Signor Chigi. Der Verputz ist glatt wie ein Spiegel, die Giornaten kaum zu erkennen und …«
»Maestro Michelangelo!«, rief Agostino ungeduldig.
»Tausend Dukaten …«, begann Michelangelo, ohne das Fresko aus den Augen zu lassen.
Agostino
Weitere Kostenlose Bücher