Der Fürst der Maler
Francescos und Eleonoras Trennung gescheitert war, stand einer offenen Konfrontation zwischen Mantua und Urbino nichts und niemand mehr im Weg.
»Ist Giovanni de’ Medici noch in Mantua?«, drängte ich Baldassare in die Ecke.
»Woher soll ich das wissen?«, fuhr er mit gespielter Verzweiflung auf. Er war ein exzellenter Schauspieler! Aber diese Textzeile war ihm nicht gut gelungen.
»Woher, Baldassare? Von deinem Cousin, dem Marchese Gonzaga«, sagte ich und versuchte, Baldassares undurchsichtiges Lächeln zu imitieren.
»Kardinal de’ Medici ist vor einigen Tagen abgereist«, gestand er seufzend. »Und erspare mir die nächste Frage: Ich weiß weder, wo er jetzt ist, noch wohin er reist.«
»Das ist auch nicht nötig, Baldassare«, sagte ich. »Ich weiß auch nicht, wo Giovanni de’ Medici jetzt ist. Aber ich weiß, wo er in einigen Tagen sein wird.«
»Wo?«, fragte Baldassare verblüfft.
»In Florenz!«
Bevor er antworten konnte, trat Paris de Grassis mit einem seiner Sekretäre in den Saal. »Monsieur Castiglione, je suis heureux de vous revoir!«
Baldassare Castiglione erhob sich und verneigte sich höflich vor dem Zeremonienmeister des Papstes. »Ich bin auch erfreut, Monseigneur «, antwortete er auf Französisch.
»Seine Heiligkeit ist jetzt bereit, Euch zu empfangen, Monsieur! «
Während Baldassare sich von mir verabschiedete und dem Sekretär zum Audienzsaal des Papstes folgte, ließ sich Paris auf einen Stuhl an meinem Schreibtisch fallen. »Raphaël, du wirst es nicht glauben, wenn ich dir sage, wer wie aus heiterem Himmel vor einer Stunde in den Vatikan gekommen ist«, deklamierte er mit einer weit ausholenden dramatischen Geste.
»Wer? Jesus Christus? Um die Kirche zu retten?«, fragte ich.
»Nein, der Antichrist: Alfonso d’Este. Um Ferrara zu retten.«
Aber nicht einmal Jesus Christus hätte seine Kirche retten können!
Das Konzil im Lateran war das letzte Knirschen, mit dem das gigantische Segelschiff der Kirche auf Grund lief. Das Konzil verurteilte die heidnischen Philosophien. Es war ein Versuch der Kirche, die Gedanken des Humanismus und die als ketzerisch bezeichneten Ideen Giovanni Pico della Mirandolas und so vieler anderer aufgeweckter und mutiger Denker aufzuhalten. Das Konzil baute einen hohen Wall aus Dogmen und Glaubenssätzen, um die Festung des Glaubens und ihren päpstlichen Befehlshaber zu schützen.
Aber das Konzil war nicht, was es sein sollte und was es hätte sein können, wenn die Kardinäle nur denselben Mut gehabt hätten wie diejenigen, die sie verdammten: der rettende Anker im Sturm, der Versuch einer Reformation der Kirche. Eine Reformation, die vor Jahren bereits Papst Alexander VI . halbherzig beschlossen und Papst Julius II . bei seiner Wahl im Konklave den Kardinälen angedroht hatte.
Meinen schweigenden Zorn über das niederschmetternde Ergebnis des Konzils drückte ich im Entwurf für das dritte Fresko der Stanza des Heliodor aus: der Befreiung des Petrus.
Julius hielt Petrus’ Ketten für eine Anspielung auf seine Titularkirche San Pietro in Vincoli – Petrus in Ketten – und das Antlitz des durch einen Engel aus dem Gefängnis befreiten Apostels für ein Porträt seiner selbst. Julius als Befreier der Kirche! Ich ließ ihn gnädig in dem Glauben. Wenn der Papst nicht sehen wollte, dass die Wächter, die die Befreiung des Petrus – und die Reform der Kirche – zu verhindern versuchten, die Gesichter seiner Kardinäle trugen: Mir war es gleichgültig! Wenn er nicht sehen wollte, dass die Morgendämmerung der Erkenntnis die endlose, dunkle Finsternis der Nacht im Fresko beenden würde: von mir aus! Aber dass Julius den im göttlichen Licht strahlenden rettenden Engel, der Petrus aus den Ketten befreite, nicht erkannte, amüsierte mich jedes Mal, wenn er vor ihm stehen blieb, um seine Anmut zu bewundern.
Denn ich fand das schöne, wissende und doch so unschuldige Antlitz von Giovanni Pico della Mirandola sehr gut getroffen …
Auch Herzog Alfonso, der im Büßergewand nach Rom gekommen war, schaffte es nicht, sein Reich zu retten. Julius, der ihm im Konsistorium die Absolution erteilte und Ferrara aus dem Kirchenbann entließ, stellte seine Bedingungen: Alfonso sollte das Herzogtum Ferrara der Kirche überlassen. Außerdem verlangte Julius die sofortige Auslieferung von Kardinal Ippolito d’Este zur Verurteilung durch ein Tribunal. Das wäre das Ende der Dynastie d’Este gewesen! Herzog Alfonso floh aus Rom und kehrte nach Ferrara
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