Der Fürst der Maler
annehmbare Bedingungen ab, ohne mich überhaupt ausreden zu lassen. Dann wies er mich unfreundlich darauf hin, dass ich ihm seine Zeit stehle und ihn von dem Vergnügen eines Angriffs auf Prato abhalte. Er warf mich aus seinem Zelt.
Entsetzt kehrte ich nach Florenz zurück und wartete. Das war am 28. August. Piero Soderini gab den Befehl, alle Sympathisanten der Medici-Partei in den Bargello zu sperren. Filippo Strozzi, nach Taddeo Taddei der reichste Bankier von Florenz, der mit Giovanni de’ Medicis Nichte verheiratet ist. Piero Ridolfi, der mit Giovannis Schwester Contessina verheiratet ist, und Jacopo Salviati, der vor Jahren Lucrezia de’ Medici heiratete. Alle Verwandten der Medici wollte Soderini einsperren! Ich hatte über diese wahnsinnige Idee gelacht, denn dazu wären die Verliese des Bargello zu klein gewesen! Ich versuchte, Soderini diesen Wahnsinn auszureden, aber er war ängstlich wie ein kleiner Junge, dem eine Tracht Prügel angedroht wird.
Am nächsten Tag trafen die ersten Nachrichten aus Prato ein. Fliehende Kaufleute berichteten von Vergewaltigungen und Massakern an Unschuldigen, von Plünderungen und gewaltigen Bränden. Priester wurden an den Altären ermordet, Nonnen vergewaltigt, die Kirchen geplündert, die Klöster angezündet. Ramón de Cardona hatte Prato am 29. August angegriffen und die Stadt im Sturm innerhalb weniger Stunden genommen. Kardinal Giovanni de’ Medici war in Prato, Michelangelo! Er hat all das nicht verhindert.
Dio mio, was ist aus Giovanni geworden? Ein wütender Racheengel! Eine Geißel Gottes! Was wird er mit uns Florentinern tun, die wir ihn und seine Brüder aus der Stadt verjagt haben? Am Dies Irae, am Tag seines Zorns, wird Blut durch die Straßen von Florenz fließen …
Die Florentiner haben Angst, Michelangelo! Die ersten Rufe nach Absetzung von Piero Soderini habe ich heute früh gehört, als ich meinen Palazzo verließ. Das Banner von Florenz lag heute Morgen im Staub der Piazza della Signoria, und die florentinische Republik und mit ihr die Freiheit werden mit Füßen getreten. Die Florentiner rufen nach den Medici, um sie aus der Anarchie zu erlösen. Diese Heuchler – sie haben Angst vor Giovannis Vergeltung!
Seit ich Staatssekretär der Republik bin, herrscht Frieden und Wohlstand in Florenz. Die Florentiner wollen davon nichts mehr wissen – all die Jahre harter Arbeit bis in die späte Nacht, all die Reformen und Gesetze, all die beschwerlichen Reisen an die Fürstenhöfe Europas, die endlosen Verhandlungen mit Fürsten, Kaisern und Päpsten, der Sieg über Pisa – alles vergebens? Ich kann es nicht glauben.
Ich saß in meinem Arbeitszimmer und habe geweint. Eine Stunde lang. Dann habe ich mich an meinen Schreibtisch gesetzt und meine Arbeit fortgesetzt. Trotz des Interdiktes über Florenz. Trotz der drohenden Vernichtung der Republik, die ich in den Jahren als Staatssekretär aufgebaut habe. Was soll ich sonst tun? Jemand muss Florenz regieren, bis Giovanni de’ Medici die Macht übernimmt. Piero Soderini tut nichts mehr. Er ist Gonfaloniere auf Lebenszeit: Jede seiner Entscheidungen könnte seine letzte sein! Wenn Giovanni gnädig ist, dann verbannt er ihn ans Ende der Welt. Wenn nicht, dann kann ich nur beten, dass er dieselbe Größe besitzt wie sein Vater Lorenzo und sein Urgroßvater Cosimo. Mir bleibt nichts anderes übrig, als zu warten. Auf Giovanni. Auf das Ende.
Niccolò, Florentiner, im fortgeschrittenen Stadium der Verzweiflung.«
Ich ließ den Brief sinken. Er war nicht datiert. War Giovanni mittlerweile schon in Florenz eingetroffen? Lebte Niccolò noch?
Ich versuchte mir vorzustellen, wie die spanischen Horden durch Florenz zogen, vorbei an Santa Maria Novella, wo ich Leonardo zum ersten Mal getroffen hatte. Wie die Spanier den Konvent von San Marco anzündeten, wo ich mit Leonardo und Fra Bartolomeo nachts Leichen seziert hatte. Wie Santa Croce entweiht wurde, wo Felice mich zum ersten Mal verlassen hatte.
Es waren furchtbare Gedanken an die Apokalypse. Florenz war ein Stück meiner Vergangenheit!
Michelangelo beobachtete mich, während das Mädchen unsere Zinnbecher mit Chianti auffüllte. Der Appetit auf das Pollo alla Diavola war mir längst vergangen.
»Um nichts in der Welt möchte ich jetzt in Florenz sein«, offenbarte ich ihm leise.
»Ich auch nicht! Fra Bartolomeo, Ridolfo Ghirlandaio, Andrea del Sarto, Giuliano und Antonio da Sangallo – all unsere Freunde sind dort«, sorgte sich Michelangelo. »Wenn
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