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Der Fürst der Maler

Der Fürst der Maler

Titel: Der Fürst der Maler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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Via Alessandrina nach Hause und dann weiter in die Villa auf dem Pincio zu geleiten. Wo, zum Teufel, waren sie?
    Seit dem Attentat auf mich während des Rückweges vom Weihnachtsbankett beim Florentiner Bankier Bindo Altoviti ließen meine vier Schweizer Leibwächter mich nicht mehr aus den Augen. Zum Dank dafür, dass sie mich unter Einsatz ihres eigenen Lebens vor den Dolchen der Attentäter retteten, hatte ich sie im Fresko der Messe von Bolsena in der Stanza des Heliodor porträtiert. Einer von ihnen war bei dem Mordversuch so schwer verletzt worden, dass die anderen sich um ihn kümmern mussten und der Attentäter entkommen konnte. Ich hatte nie herausgefunden, wer mir nach dem Leben trachtete.
    War es Alessandro Farnese? Alessandro hasste mich und beschimpfte mich seit Monaten im Konsistorium der Kardinäle als Ketzer und Schismatiker, als ›Raphael, der gefallene Engel, der wie Satan die Menschen verführt‹. Hatte er Giovanni Pico im Fresko der Befreiung des Petrus erkannt?
    Oder war es Herzog Francesco? Immerhin lebte ich mit seiner Gemahlin Eleonora zusammen. Allerdings hatte Francesco bei seinen bisherigen Opfern immer selbst zum Dolch gegriffen und keine bestochenen Assassini bemüht. Seit meiner Verbannung aus Urbino war unsere Freundschaft nicht mehr so unbefangen wie in den Tagen unserer Kindheit – aber würde er mich wirklich umbringen?
    Oder war es Sebastiano Luciani, der mir nach dem Leben trachtete? Seit er die Idole gewechselt hatte und nun Michelangelo anbetete, demontierte er Stück für Stück den Marmorsockel, auf dem ich stand. Er schreckte nicht davor zurück, Lügen über mich und Halbwahrheiten über sein eigenes Talent zu erzählen, um mir Aufträge wegzuschnappen. Sebastiano hatte etliche Gehilfen eingestellt und unterbot jeden Auftrag an mich mit einem niedrigeren Angebot. Er verlangte so wenig für ein Fresko oder ein Altarbild, dass ich mich ernsthaft fragte, wie er seine Miete bezahlen und den Winter überleben wollte. Und noch eine Frage stellte ich mir: Wer finanzierte seinen erbitterten und kostspieligen Krieg gegen mich? Michelangelo?
    Seit Monaten vermutete ich, dass Sebastiano Luciani, der nicht nur ein begnadeter Sänger und Lautenspieler, sondern auch ein guter Dichter war, das Epos vom Kampf der Titanen zwischen Michelangelo und mir verfasst hatte. Wochenlang waren Nacht für Nacht neue Verse dieses Epos am Pasquino angeklebt worden. Die Hexameter erinnerten mich an Homers Beschreibung des endlosen Kampfes der Griechen gegen die Trojaner. Mit einem Unterschied: In Sebastianos sprachgewaltigem Epos schien der Sieger der Farbschlacht von vornherein festzustehen …
    Es war nicht ungewöhnlich, dass neidische Künstler ihre Konkurrenten beseitigten. Schon Albrecht Dürer und Tiziano Vecelli hatten mich in Venedig gewarnt, nicht jede Einladung zu einem Abendessen bei einem Künstler anzunehmen. Einige Maler kauften nicht nur ihre Farben bei den Apothekern, sondern auch ein anderes Pulver: Gift! Und selbst Michelangelo war vor wenigen Jahren aus Rom nach Florenz geflohen, weil er glaubte, dass Donato Bramante ihm nach dem Leben trachtete.
    Ich würde lügen, wenn ich behauptete, dass ich in diesem Augenblick keine Angst hatte: Ich war allein in den Gärten des Belvedere. Meine Leibwache war verschwunden. Entschlossen kehrte ich um und ging zurück zum beleuchteten Palazzo del Belvedere.
    Im Mondlicht suchte ich den Boden nach Fußtritten im Schnee ab. Die vier Schweizer waren mit mir von San Pietro herübergekommen und hatten versprochen, am Laokoon auf mich zu warten.
    Ich ging in meinen eigenen Spuren zurück, vorbei an den Statuen der Ariadne, an der Niobe, am Diskoswerfer. Vor dem Laokoon fand ich ihre Fußabdrücke: Der Schnee war zertrampelt, als wären sie in der Kälte ungeduldig auf und ab gelaufen. Sie hatten also doch auf mich gewartet! Zu Füßen des Laokoon fand ich Spielkarten im Schnee. Ich stutzte und sah mich um, ging ein paar Schritte die Hecken entlang.
    Vier Spuren entfernten sich vom Laokoon. Sie waren weggegangen. Aber warum? Und wohin?
    Ich folgte den Spuren. Die Schritte waren undeutlich im tiefen Schnee, als wären sie gerannt. Und wieder: warum? Weil sie mich in Gefahr wähnten? Während ich den Fußabdrücken folgte, überlegte ich: Sie hatten Karten gespielt, während sie auf mich gewartet hatten. Ein Geräusch hatte sie aufhorchen lassen – ein Hilferuf? Ein Schmerzensschrei? Sie waren aufgesprungen und hatten mich im Labyrinth der Hecken

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