Der Fürst der Maler
hatte nach Durchsicht der elitären Gästeliste das Bankett ironisch das ›humanistische Gegenkonzil‹ zum Konzil im Lateran genannt, ein ›Feuerwerk des Geistes‹, einen ›zündenden Funken‹, der die Kirche in Brand setzen konnte.
Die Dichter Antonio Tebaldeo und Pietro Aretino hatten ebenso ihr Kommen zugesagt wie Pietro Bembo und Baldassare Castiglione, die für diesen Anlass aus Urbino angereist waren. Ludovico Ariosto hatte versprochen, einige Passagen aus seinem noch unvollendeten Orlando furioso vorzutragen. Die größten Maler, Bildhauer und Architekten Roms wollten kommen: Giuliano da Sangallo und seine Neffen Bastiano und Nino, Andrea Sansovino mit seinem Schüler Jacopo Sansovino, Donatos Lieblingsschüler Bramantino, Baldassare Peruzzi und Gian Antonio Sodoma. Bernardino Pinturicchio war aus Siena gekommen und wohnte seit zwei Tagen in meinem Palazzo. Sogar Michelangelo hatte zugesagt, mit ›Lucifer‹ in seinem Gefolge zu erscheinen. Lucifer – der Lichtbringer – so nannte ich seit einigen Wochen Maestro Luciani. Doch anstatt sich darüber zu erregen, fühlte Sebastiano sich geschmeichelt! Die große Überraschung für meine Gäste war selbst ein Gast: Josquin Desprez, der berühmte französische Komponist, war aus Mailand angereist, um uns einige seiner neuen Kompositionen vorzutragen.
Agostino, der seit Imperias Selbstmord sehr melancholisch war, hatte schließlich seine Teilnahme an meinem Bankett zugesagt. Die Kurtisane Imperia war ihm eine gute Freundin und Vertraute gewesen. Sie hatte sich im November das Leben genommen.
Agostino war wochenlang nicht zu sprechen gewesen. Wie oft war ich von einem seiner Diener in der Eingangsloggia abgewiesen worden! Unsere Freundschaft drohte an Imperias Tod zu zerbrechen. Und an Agostinos Weigerung, mit mir zu sprechen. Ich gab nicht auf. Eines Abends schob ich Agostinos Kammerdiener zur Seite, stürmte die Treppe der Villa hinauf und stellte ihn zur Rede. Er musste mich anhören!
Imperias Selbstmord stand jetzt, zwei Wochen nach unserer Aussprache, nicht mehr zwischen uns. Agostino hatte mir vergeben – was auch immer er glaubte mir vergeben zu müssen. An diesem Abend wollte er trotz des beunruhigend schlechten Gesundheitszustandes seines Freundes Giuliano della Rovere an meinem Bankett teilnehmen.
Mit gesenktem Kopf stapfte ich durch das dichte Schneetreiben. Den ganzen Tag war ich auf der Baustelle von San Pietro gewesen. Ich fror erbärmlich.
Sobald ich in den Palazzo Santi zurückgekehrt war, wollte ich als Erstes ein heißes Bad nehmen, um mich wieder aufzuwärmen. Vielleicht wäre danach noch ein wenig Zeit, um mit Eleonora zwischen die warmen Laken zu schlüpfen … Dann würden Eleonora und ich mit der Eskorte zu meiner neuen Villa in den Weingärten des Pincio aufbrechen und noch rechtzeitig vor den ersten Gästen dort ankommen.
Die Villa war mein Refugium auf der Flucht vor der allgegenwärtigen Arbeit. Dort schloss ich mich manchmal ein, um meine Ruhe zu haben. Um allein zu sein. Um die Stille – die Windstille des schöpferischen Geistes – zu genießen. Nicht einmal Eleonora wagte es dann, mich dort zu stören.
Die ›Santissima‹, mein Allerheiligstes, war so groß wie die Villa Chigi, meine Weingärten weitläufiger als Agostinos ›Garten Eden‹ an der Via della Lungara. Die Gartenloggia war von Donato Bramante errichtet worden, die Eingangsarkaden hatte Giuliano da Sangallo entworfen und der renovierten Villa hinzugefügt. Die Fresken im Bankettsaal und der Eingangsloggia stammten von den besten Malern Roms: meinen Schülern. Giulio Romano und Raffaellino del Colle hatten nach eigenen Entwürfen zwei herrliche griechische Mythen gemalt. Weitere Freskenzyklen sollten während des Sommers in meinem Studiolo und der Gartenloggia gemalt werden. Ich hatte Fra Bartolomeo nach Florenz geschrieben, ob er nicht für einige Monate nach Rom kommen wollte. Der dreiseitige Antwortbrief des Fraters war ein euphorisches ›Ja, ich will!‹. Bartolomeo hatte ein paar seiner Ideen mit dem Kohlestift skizziert und seinem Brief beigefügt. Die Entwürfe gefielen mir. Und ich freute mich auf ein Wiedersehen mit ihm nach fünf Jahren.
Noch ganz in Gedanken versunken blieb ich im Labyrinth des Belvedere stehen und sah mich um. Ich war allein mit den antiken Statuen. Weit und breit war niemand zu sehen. Wo waren meine Leibwächter? Die Schweizer Gardisten warteten nicht, wie verabredet, an der Statue des Laokoon auf mich, um mich durch die
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