Der Fürst der Maler
und die Tür fiel erneut ins Schloss.
Ich war wieder allein.
Meine steifen Glieder schmerzten vor Kälte, als ich mich vom Bett erhob und zum Tisch hinüberwankte, um zu essen.
Die Uhr hielt ich immer noch in der Hand. Deo gratias! Sie war noch nicht stehen geblieben. Ich starrte die Zeiger an: Es war die neunte Stunde. Eleonora würde in der Villa auf mich warten, denn das Fest sollte zur neunten Stunde beginnen. Die ersten Gäste würden eintreffen. Eleonora würde ihnen oben an der Treppe der Eingangsloggia die Hand zum Kuss reichen und immer wieder beunruhigt nach mir Ausschau halten. Aber ich würde nicht kommen. Und niemand wusste, wo ich war. Auch meine Leibwache blieb verschwunden. Und wer würde schon in den vatikanischen Gärten nach ihren Leichen suchen? Ein Mordanschlag auf mich im Vatikan war einfach zu grotesk! Und die Leichen der vier Schweizer Gardisten trieben sicher längst im Tiber …
Wann würde man beginnen, nach mir zu suchen? Baldassare Castiglione war ein erfahrender Offizier des urbinischen Heeres – er würde die Initiative ergreifen, wenn Eleonora ihn um Hilfe bat. Aber würde er mich in der Engelsburg suchen? Die Wächter kannten ihn. Er war mit Herzog Francesco in dieser Zelle gewesen. Sie würden ihn nicht einlassen. Und Agostino Chigi? Was würde er tun? Seinen Freund Giuliano della Rovere bitten, die Schweizer Garde nach mir suchen zu lassen? Und wieder stellte sich die quälende Frage: Wer war der Auftraggeber meiner Entführung? Papst Julius selbst?
Nachdenklich zog ich den Teller mit der Brotsuppe zu mir heran. Nicht einmal ein Holzlöffel war mir zugestanden worden, um die Suppe zu essen. Hielt man mich für so gefährlich? Oder wollte man mich einfach nur demütigen? Während ich die heiße Suppe aus der Schüssel schlürfte, dachte ich an das Festessen in meiner Villa. Drei Tage hatte mein Chefkoch über dem Menü gebrütet, dann war er mit einem siegessicheren Lächeln in mein Studiolo gekommen und hatte mir die Speisenfolge erklärt wie einen Schlachtplan. Während ich an gefülltes Spanferkel mit Maronen, an Kapaun in Weinsauce, Wachteleier mit Goldstaub und Zitronensorbet dachte, leerte ich hungrig den Teller mit eingeweichtem Schwarzbrot. Den bitteren, schimmeligen Geschmack spülte ich mit dem Becher Wasser hinunter.
Die Suppe hatte mich ein wenig aufgewärmt. Müde kehrte ich zum Bett zurück und wickelte mich in meinen Mantel. Eine Weile beobachtete ich im diffusen Licht den weißen Atemhauch, der zur Decke der Zelle aufstieg. Dann rollte ich mich zusammen und versuchte zu schlafen. Ich benötigte alle meine körperlichen und geistigen Kräfte für das, was unvermeidlich kommen würde. Was auch immer das war …
Das heisere Krächzen eines Raben weckte mich im Morgengrauen. Ich setzte mich auf und streckte meine steifen Glieder. Ich musste in Bewegung bleiben, um nicht zu erfrieren! Ich erhob mich vom Bett und ging in der Zelle auf und ab. Zehn Schritte in die eine Richtung, zehn Schritte in die andere Richtung. Langsam kehrte das Leben in meinen Körper zurück.
Auf der Strohmatratze des Bettes machte ich weitere gymnastische Übungen, um meine Muskeln geschmeidig zu machen. Für eine Flucht? Die Hoffnung hält den Menschen am Leben, wenn ihm nichts weiter geblieben ist.
Gegen Mittag erhielt ich wieder eine Schüssel mit einer Mahlzeit: eine dicke Brotsuppe, die wie gekochter Leim roch und schmeckte. Wieder musste ich mit den Fingern essen.
Der Nachmittag war noch unerträglicher als die Suppe. Ich machte ein paar Klimmzüge an den Dachbalken meines Kerkers, um warm zu bleiben. Wie sehr ich aus der Übung war! Wie lange war es her, dass ich zum letzten Mal durch die Hügel um Urbino gelaufen war, mit Francesco gefochten hatte und mit ihm um die Wette geritten war! Ich hatte versucht, in Form zu bleiben, doch meine Verpflichtungen hatten mich immer wieder davon abgehalten: ungezählte Aufträge für Gemälde und Fresken, meine Arbeit als Stellvertretender Bauleiter von San Pietro und als Architekt von Kirchen und Palazzi, die Ausgrabungen auf dem Forum Romanum und im Domus Aurea, Bankette und Maskenbälle, gelehrte Disputationen mit meinen Freunden. Wie viel Zeit war für Eleonora übrig geblieben? Oder für mich selbst? Zu wenig!
Am späten Nachmittag, kurz bevor die kalte Februarsonne unterging, wurde die Tür geöffnet. Ein Mann in einem langen schwarzen Umhang betrat den Raum. Er war maskiert, sodass ich sein Gesicht nicht sehen konnte. Aber etwas an ihm
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