Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fürst der Maler

Der Fürst der Maler

Titel: Der Fürst der Maler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
Vom Netzwerk:
kam mir seltsam vertraut vor. Ich wusste genau: Ich kannte ihn!
    Ich erhob mich vom Bett und trat ihm entgegen. »Warum bin ich hier?«, fragte ich ihn trotzig.
    Er schwieg und schien mich hinter seiner schwarzen Maske aufmerksam zu beobachten. Hatte er erwartet, dass ich ihn um Gnade anflehen würde? Dass mein Wille bereits gebrochen war? Nach nur einer Nacht in der Engelsburg?
    »Wie lange werde ich hier sein?«, bohrte ich nach. Erfolglos.
    Der Maskierte schwieg. Er wollte sich durch seine Stimme nicht verraten.
    Ich war sicher, dass ich ihn kannte. Doch wer war er? Und was wollte er von mir?
    Er griff in die Tasche seines Mantels und holte einen Brief hervor, den er auf den Tisch warf. Dann drehte er sich um und verließ die Zelle. Unter dem langen schwarzen Mantel sah ich roten Seidenstoff schimmern. Purpurroten Seidenatlas!
    Alessandro Farnese!
    Die Tür wurde zugeknallt, und ich war wieder allein.
    Ich setzte mich auf einen Holzstuhl am Tisch und zog das gefaltete Pergament zu mir heran. Mit zitternden Händen drehte ich es um.
    Der Brief war von Niccolò Machiavelli aus Florenz! Er war an mich adressiert: Magister Raffaello Santi, Via Giulia, Roma. Das Siegel war zerbrochen, der Brief war gelesen worden. Jemand hatte meine Post abgefangen. Aber warum?
    Mit steifen Fingern entfaltete ich den Bogen und begann zu lesen:
    »Raffaello mio! Ich bin verzweifelt! Ich werde des Verrates angeklagt. Ich soll hingerichtet werden. Bitte hilf mir, Raffaello!«
    Ich ließ den Brief sinken. Niccolò – ein Verräter! Wer hatte ihn angeklagt – Giovanni de’ Medici? Ich trat ans Fenster und hielt das Pergament in das schwindende Licht. War der Brief echt? Oder war er eine Fälschung, um mir Angst zu machen? Nein, diese Zeilen hatte Niccolò geschrieben. Ich erkannte seine feine Handschrift, die wie gedruckte griechische Lettern aussah.
    »Ich bin das Opfer einer Verschwörung geworden«, las ich.
    Nicht nur du, Niccolò! Ich auch!
    »Mein Name hatte auf einem Zettel gestanden … Aber verzeih mir: Ich beginne mit dem Ende der Geschichte. Seit der Rückkehr der Medici nach Florenz hat es in der Stadt immer wieder Unruhen gegeben, Verschwörungen, Attentate auf Giovanni und Giuliano de’ Medici. Da ich als amtierender Staatssekretär der Republik für die Sicherheit in der Stadt verantwortlich war, habe ich versucht, die beiden vor dem Pöbel zu schützen. Aber sie haben meine Unterstützung abgelehnt. Wie oft habe ich mit Giuliano und Giovanni gesprochen! Ich habe sie meiner Loyalität versichert. Ich habe sie an unsere gemeinsame Jugendzeit erinnert und an ihren Vater Lorenzo il Magnifico, der mir mit seinem Vermögen meine politische Karriere erst ermöglicht hat. Sie hörten mir überhaupt nicht zu. Ich habe Giovanni gesagt, dass es für die Medici lebenswichtig ist, Freunde zu gewinnen – nicht, sie zu verlieren. Er hat gelacht: Er wüsste genau, wer sein Freund sei und wer nicht. Ich, Niccolò Machiavelli, gehöre nicht dazu! Ich habe mich nicht entmutigen lassen und machte Vorschläge, wie die Medici die Macht in der Signoria übernehmen können. Ich, ein Republikaner! Doch Giuliano und Giovanni haben mich behandelt wie einen Verräter, wie einen Aussätzigen. Es war demütigend. Ich habe zornig den Palazzo Medici verlassen, bevor sie mich hinauswerfen ließen.
    Im November letzten Jahres wurde mir schließlich mein Entlassungsbrief überreicht: nicht von der Signoria, sondern von Monsignor Giulio de’ Medici. Seine Eminenz, Kardinal Giovanni, hatte keine Zeit – oder keine Lust –, sich weiter mit mir herumzuärgern. Giulio, dieses in Giovannis Windschatten groß gewordene giftige Nachtschattengewächs, saß wie ein regierender Herzog hinter seinem Schreibtisch und hat nicht einmal von seiner Arbeit aufgesehen, als er mir das Pergament in die Hand drückte. Er konnte mir nicht in die Augen sehen, als er mich aufforderte, Florenz zu verlassen. Stell dir vor, Raffaello: Ich wurde aus Florenz verbannt! Ich habe mich geweigert, die Stadt zu verlassen. Giulio hat mit den Schultern gezuckt, als wäre es ihm völlig gleichgültig, was ich künftig tun würde. Solange ich nicht zu regieren versuchte …
    Ich bin dreiundvierzig Jahre alt. Mein ganzes Leben, meine ganze Karriere besteht aus Politik. Ich habe keine Kenntnisse im Seidenhandel oder in der Wollweberei, keine Ahnung von Gewinn und Verlust und doppelter Buchführung. Ich wusste nicht, was ich nach meiner unehrenhaften Entlassung aus der Regierung der Republik

Weitere Kostenlose Bücher