Der Fürst der Maler
Florenz tun sollte. Außer mein Manuskript zu vollenden! Aber kann ich damit auch nur einen Fiorino verdienen? In Florenz finde ich im Augenblick bestimmt keinen Drucker, der den Principe veröffentlichen wird. Und in Venedig? Oder in Mailand?
Mein Gott, wenn ich an Mariettas vorwurfsvolle Blicke denke! Oder an unseren Sohn! Das Weihnachtsfest war das einsamste meines Lebens. Der Palazzo Machiavelli war wie ausgestorben, die meisten Diener hatten sich ihren ausstehenden Lohn auszahlen lassen und waren gegangen. Einfach so. Keiner der geladenen Gäste war zum Essen gekommen. Als hätte ich die Pest oder die Syphilis!
Aber es kam noch viel schlimmer. Im Januar verschworen sich zwei Florentiner – Verwandte von Piero Soderini –, Giuliano de’ Medici in der Signoria zu ermorden. So wie einst Gaius Julius Caesar im Senat. Sie wurden gefangen genommen und gefoltert. Aber sie mussten kein Wort sagen, denn sie trugen eine Liste mit achtzehn Namen bei sich. Diese Dilettanten! Und gefährliche Dilettanten waren sie noch dazu, denn mein Name stand auch auf dem Zettel.
Giuliano de’ Medici hielt die Liste für eine Aufzählung der Verschwörer. Ich wurde mitten in der Nacht aus meinem Bett gezerrt und in den Bargello gebracht. Sie haben mich gefoltert, aber ich hatte nichts zu gestehen. Ich wusste nicht, dass mein Name auf der Liste gestanden hatte. Wer hatte ihn dort hingesetzt? Ich habe einen Verdacht, Raffaello: Ich befürchte, dass einer unserer besten Freunde seine Hände im Spiel hat.«
Niccolò nannte keinen Namen, weil er fürchtete, dass sein Brief in die falschen Hände fallen könnte. Aber ich wusste, wen er meinte: Il Principe! Taddeo hatte sich mit seinem Schwager, Herzog Francesco, verbündet und hielt sich oft in Urbino auf. Francesco und Giuliano de’ Medici waren unversöhnliche Gegner. Steckte Taddeo hinter dem Attentat auf Giuliano?
Und warum stand Niccolòs Name auf der Liste der Verschwörer? Wollte Taddeo Niccolò, nach Piero Soderinis Exil einer seiner schärfsten Konkurrenten auf dem Weg zur Macht in Florenz, auf diese Weise loswerden?
Ich schüttelte den Kopf und las weiter:
»Die beiden Attentäter sind gestern früh hingerichtet worden. Die anderen Verschwörer sind aus Florenz verbannt worden – das hat mir Marietta erzählt, als sie mich in meinem Gefängnis besuchte. Sie wird heute Nachmittag wieder kommen, und ich werde ihr diesen Brief an dich mitgeben. Vielleicht kann sie ihn aus dem Bargello schmuggeln.
Was die Medici mit mir vorhaben? Ich weiß es nicht. Ich befürchte das Schlimmste. Vor zwei Tagen haben ihre Folterknechte mir beinahe meine rechte Hand zerquetscht. Nur die Schadenfreude darüber, dass sie nicht wissen, dass ich Linkshänder bin, lässt mich diesen grauenhaften Schmerz ertragen, der mich seit zwei Tagen quält. Der Mensch ist zu allem fähig: quod non erat demonstrandum! Und Giovanni de’ Medici ist unversöhnlich in seinem Zorn. Raffaello mio, kannst du ihm nicht nach Florenz schreiben und ein gutes Wort für mich einlegen? Sonst sterbe ich an Verzweiflung, bevor das Beil des Henkers niedersaust. Oder bevor das Manuskript des Principe vollendet ist!
Dein verzweifelter Niccolò,
Florenz, irgendein gottverlassener Tag im Februar 1513.«
Ich legte den Brief auf den Tisch und ging einige Schritte in dem Kerker auf und ab. Warum war mir dieses Schreiben in die Engelsburg gebracht worden? Meine Entführer hatten es gelesen, denn das Wachssiegel war zerbrochen gewesen. Sollte ich meine eigene Situation mit der von Niccolò vergleichen, der im Bargello von Florenz auf seine Hinrichtung wartete? Sollte Niccolòs verzweifelter Brief mir meine Hoffnung rauben, mir Angst machen?
Wer immer mir diesen Brief brachte – er hatte sein Ziel erreicht: Ich hatte Angst. Entsetzliche Angst! Und ich hatte eine ganze Nacht Zeit zum Nachdenken …
Sie holten mich am Morgen des fünften Tages. Der Hunger, die Kälte und die Furcht hatten mich so geschwächt, dass die Wächter mich aus der Zelle schleppen mussten. Ich konnte nicht mehr selbst gehen. Wann hatte ich die letzte warme Mahlzeit erhalten? Oder den letzten Becher Wasser?
Meine Uhr war längst stehen geblieben.
Man brachte mich in einen Saal des päpstlichen Palastes auf den Zinnen der Engelsburg. Das Tribunal erwartete mich: fünf Monsignori des Heiligen Officiums, zwei Scriptores zur Niederschrift meines Geständnisses. Und ein Kardinal: Alessandro Farnese! Also hatte ich mich nicht getäuscht – es war eine
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