Der Fürst der Maler
unserem Streit in meiner Bibliothek.
Alessandro riss der Geduldsfaden. Mit einer herrischen Handbewegung befahl er einem der Wächter, einen Mann in den Gerichtssaal zu führen. Ich traute meinen Augen nicht, als Gio’ hereingeführt wurde. Er trug die Jarmulke, das Käppchen, auf dem Kopf und den Tallit, den Gebetsschal, um die Schultern. Die Tefillin, die ledernen Gebetsriemen, fesselten seine Hände hinter dem Rücken. Sein Gesicht war blutig, die Lippen aufgesprungen – er war geschlagen worden. Und seine herrlichen schwarzen Haare, die er zum Sabbat zu Locken eindrehte, waren abgeschnitten. Sie hatten ihn am Sabbat mit Gewalt aus der Synagoge entführt.
Gio’ sah mich nicht an, als er auf einem Hocker neben mir Platz nahm.
»Du kennst diesen jungen Mann?«, fragte Alessandro und deutete auf Gio’.
»Das ist Maestro Giovanni da Udine«, sagte ich.
»Du beschäftigst ihn als deinen Mitarbeiter?«
»Ja.«
»Im Vatikan?«
»Ja.«
»Er ist Jude«, spuckte Alessandro aus.
»Jesus war auch Jude! Würdest du Jesus auch aus dem Vatikan werfen lassen, Alessandro?«, fragte ich und dachte an Albrecht Dürers Worte in Venedig: ›Vielleicht werden sie dich doch nicht heilig sprechen, Raffaello! Willst du dich eigentlich gegen alles und jeden auflehnen? Mit jeder Konvention brechen? Mit einem Juden in deiner Werkstatt werden sie dich kreuzigen!‹ Würde Albrechts Prophezeiung eintreffen? Ich würde es bald herausfinden …
Alessandro Farnese geruhte nicht, meine Frage zu beantworten. »Dein Hochmut wird dir noch vergehen, du … du gefallener Engel«, verfluchte er mich. »Der Abgrund, in den du stürzt, ist tief. Du wirst dich nie wieder erheben – das verspreche ich dir.«
Er deutete auf die Folterinstrumente, die in einer Ecke des Gerichtssaales bereit standen. Haken und Zangen, ähnlich denen, die ich schon zum Sezieren von Leichen verwendet hatte, ein Kohlebecken, Daumenschrauben und eine Streckbank …
In diesem Augenblick stürmte ein Scriptor, einer von Alessandros Sekretären, in den Saal. Alessandro sah ihn gereizt an, doch dann winkte er ihn heran. Der Schreiber trat zum Kardinal und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Ich verstand nur ein paar der atemlosen Worte: »… nur noch ein paar Stunden, nicht mehr.«
Der Kardinal wurde blass. Doch dann lächelte er mit zusammengepressten Lippen, wie ein Feldherr, der in die Schlacht zieht: zum Sieg entschlossen und gleichzeitig auf die mögliche Niederlage vorbereitet.
»Bringt die beiden Gefangenen zurück in ihre Verliese«, befahl Alessandro.
Mit der Faust hämmerte ich gegen die unverputzte Wand meines Kerkers. Gio’ antwortete mit einem Klopfen. Also war er in dem Raum neben mir untergebracht.
»Geht es dir gut?«, rief ich.
»Ja«, hörte ich dumpf seine Stimme hinter den Ziegelsteinen.
»Haben sie dich gefoltert?«, fragte ich.
»Ja.«
»Es tut mir Leid, Gio’«, rief ich hinüber.
Wie hatte ich ihn der Gefahr aussetzen können, als Jude im Vatikan zu arbeiten! Ich fühlte mich verantwortlich für seine Gefangennahme und die Qualen, die er unter der Folter zu ertragen hatte.
»Nein, Raffaello! Mir tut es Leid, dass ich den Schmerz nicht ertragen konnte. Und dass ich dich verraten habe! Bitte vergib mir«, schluchzte er auf der anderen Seite der Zellenwand.
»Was hast du ihnen erzählt?« Ich bemühte mich, meine Stimme nicht vorwurfsvoll klingen zu lassen.
»Alles, was sie hören wollten. Sie wollten wissen, welche Bücher du liest. Ich habe ihnen gesagt, dass ich Giovanni Pico della Mirandolas Conclusiones und Marsilio Ficinos Theologia Platonica in deiner Bibliothek gesehen habe. Bitte vergib mir!«
Ich schloss die Augen und ließ mich auf das Bett sinken.
Selbst wenn alle anderen Anklagen gegen mich lächerlich waren: Die Anklage der Ketzerei war es nicht. Wenn Alessandro Farnese meine Bibliothek im Palazzo Santi durchsuchen ließ, konnte ich nicht leugnen, diese beiden Bücher zu besitzen. Und noch viele andere! Aristoteles und Platon. Ali Abu Ibn Sina und Abu Bakr Ibn Tufail. Erasmus von Rotterdams Neues Testament, Aishas Übersetzung des Koran und Gio’s Niederschrift des Talmud.
Die Anklage der Ketzerei war so sicher wie das Amen nach der Messe. Und das Urteil für Ketzerei stand bereits fest: Tod auf dem Scheiterhaufen!
Unruhig lief ich durch die Zelle. Die Verzweiflung trieb mich vorwärts. Ich konnte nicht einfach stillsitzen und mein Schicksal erwarten.
Welche Nachricht hatte Alessandro von seinem Sekretär erhalten,
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