Der Fürst der Maler
bis in alle Ewigkeit. Oder ad mortem – bis zum Tode, zum Ende aller Zeit.
Wenn ich unter der Folter meinen eigenen Glauben an alle Wahrheiten, nicht nur die eine, widerrief, drohte mir der Scheiterhaufen. Das Evangelium und das Credo in der Stanza della Segnatura würden als Bekenntnisse meines Irrglaubens vernichtet werden. Wenn ich nicht widerrief, würde ich beschuldigt werden, einen Bund mit Satan eingegangen zu sein. Einem Inquisitor wie Alessandro Farnese, der zu allem entschlossen war, konnte ich nicht entkommen. Das Urteil war gefällt: Scheiterhaufen. Egal, aus welchem Grund: Glaube oder Irrglaube.
»Bekenne deinen Glauben«, brüllte der Folterknecht und zog die Schraube an.
Der Schmerz in meiner linken Hand war unerträglich. Die Finger hatten sich blauviolett verfärbt und waren angeschwollen. Die Haut drohte an mehreren Stellen zu platzen. Meine Hand sah aus wie die eines Toten.
Ich dachte an die Leichen der Dominikaner von San Marco und versuchte den Schmerz zu ignorieren. Aber ich konnte es nicht, die Tortur dauerte schon zu lange. Im Morgengrauen hatten sie mich aus meiner Zelle gezerrt.
»Er ist es, der lebendig macht und tötet, und wenn er ein Ding beschlossen hat, so spricht er nur zu ihm: Sei! Und es ist«, flüsterte ich.
Der Mann starrte mich verblüfft an.
Endlich hatte ich etwas gesagt. Zwar nicht die erwartete, ersehnte Revocation, aber wenigstens einen zusammenhängenden Satz.
Der Folterknecht, der mit Sicherheit weder lesen noch schreiben konnte und daher auch keine Kenntnis der Heiligen Schrift hatte, sah sich nach den Monsignori am Tisch um. Aber auch sie sahen mich ratlos an.
»Was zitiert Ihr da, Monsignor Santi? Die Offenbarung des Johannes?«, fragte einer von ihnen.
Ich schüttelte den Kopf. »Mohammeds vierzigste Sure.«
»Verflucht seid Ihr, Ketzer«, rief er entsetzt. »Bekennt Euch zur Wahrheit!«
»Sagt nicht: Ich habe die Wahrheit gefunden, sondern eher: Ich habe eine Wahrheit gefunden«, zitierte ich.
»Wer hat das gesagt?«, fragte der Monsignore misstrauisch.
»Jeder Prophet. Sucht es Euch aus: Mohammed, Buddha, Jesus.«
Der Monsignore gab dem Folterknecht einen Wink, und er zog die Schraube noch ein wenig an.
Ein furchtbarer Schmerz stieg wie kochendheiße Lava meinen Arm hinauf und stach wie ein glühender Dolch in mein Herz. Und in meinen Verstand. Ich schloss die Augen und holte tief Luft, um nicht zu schreien. Wie lange würde ich diesen Schmerz noch aushalten, bevor ich sie um Erlösung anflehte? Nein, das nicht! Sie konnten mir alles nehmen: meine Träume, meinen Glauben, meinen Stolz, meine Freiheit. Aber nicht meine Selbstachtung!
Gio’ sah mich verzweifelt an. ›Gib auf‹, sagten seine Augen.
Ich schüttelte den Kopf, und er senkte den Blick.
Gio’ weinte. Um mich?
In diesem Augenblick wurde die Tür aufgerissen, und Giovanni de’ Medici stürmte wie von Furien gescheucht in den Saal. Er trug eine halb aufgeknöpfte Purpursoutane, ohne Mozzetta.
Ich starrte ihn an wie die Erscheinung eines rettenden Engels.
War das Konklave schon beendet? So schnell?
Giovanni war zornig wie ein Engel der Apokalypse. Er hatte Alessandro Farnese am Arm gepackt und schleppte ihn hinter sich her in den Saal. Drei weitere Kardinäle folgten ihnen atemlos. War Giovanni gerannt?
»Aufhören«, befahl er. »Lasst Maestro Raffaello frei! Sofort!«
Die Monsignori erhoben sich verunsichert hinter ihrem Tisch. Aber als Kardinal Farnese schicksalsergeben nickte, gab einer von ihnen dem Folterknecht das Zeichen, meine Hand aus dem Instrument zu befreien. Die Monsignori beeilten sich, die Ringe der Kardinäle zu küssen, die aus dem Konklave gekommen waren.
Giovanni schob ungeduldig den Folterknecht zur Seite, der noch immer an den Schrauben des Folterinstrumentes drehte, um meine Hand zu befreien. Dann öffnete er selbst die beiden Holzzangen, die mir beinahe die Linke zerquetscht hatten. »Das sieht nicht gut aus, Raffaello«, sorgte er sich.
»Nein.«
»Wie fühlst du dich?«, fragte Giovanni fürsorglich, als er mir auf die Beine half. Ich schwankte, aber er fing mich auf und legte mir einen Arm um die Schultern.
»Unbeschreiblich«, flüsterte ich. »Und du?«
»Fantastisch«, grinste Giovanni.
»Ist das Konklave schon beendet?«, fragte ich und warf Alessandro Farnese einen irritierten Blick zu. In Rom kursierte bei jedem Konklave ein Spruch: Wer als Papst ins Konklave geht, wird als Kardinal wieder herauskommen …
»Ja, Raffaello, vor nicht einmal
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