Der Fürst der Maler
einer Stunde. Ich bin sofort hierher geeilt, als ich von deiner Gefangennahme erfuhr. Ich hatte nicht einmal Zeit, mich umzuziehen.« Giovanni deutete auf die halb aufgeknöpfte Purpursoutane ohne Mozzetta.
»Umziehen?«, fragte ich verständnislos. Ich wusste, dass Giovanni eitel war und am liebsten florentinische Kleidung trug. Ich schüttelte den Kopf und konzentrierte mich auf die Frage, die mich mehr als alles andere interessierte: »Wen habt ihr gewählt?«
Giovanni lächelte: »Mich.«
Kapitel 17
Wen die Götter lieben …
W en die Götter lieben, den senden sie auf die Erde!
Giovanni schien mir einer von jenen Engeln zu sein, die von Zeit zu Zeit vom Himmel herabsteigen, um sich um die verirrten Menschen zu kümmern und sie zurück auf den rechten Pfad zu leiten.
Und nicht nur die Götter, sondern auch die Römer liebten Giovanni de’ Medici. Ich sah ihre strahlenden Gesichter, als der neue Papst am 11. März 1513, dem Jahrestag der Schlacht von Ravenna und seiner Gefangennahme durch die Franzosen, in der festlich geschmückten neuen Kathedrale von San Pietro unter einem strahlenden Frühlingshimmel sich selbst die Tiara aufsetzte und der Welt stolz verkündete, dass er künftig den Namen Leo X. tragen wollte. Der Name war von meinem Fresko der Begegnung Leos des Großen mit dem Hunnenkönig Attila in der Stanza des Heliodor inspiriert. Wie sein großer Vorgänger hatte Papst Leo beschlossen, die Barbaren aus Italien zu vertreiben.
Nach der Krönung mit der Tiara hielt ihm der Zeremonienmeister Paris de Grassis ein Pergament mit seinem Namen, Leo X., vor das Gesicht, das er mit den Worten Sic transit gloria mundi verbrannte. Diese noch aus der Zeit der ersten Päpste stammende Tradition sollte den Gekrönten an die Vergänglichkeit alles Irdischen erinnern. Die Vergänglichkeit seines Lebens, seiner Visionen, seines Pontifikates, seiner humanistischen Reformversuche gegen keinen Widerspruch duldende Konzilsbeschlüsse …
Ein unbeschreiblicher Jubel brach in der Bauruine von San Pietro los, als der siebenunddreißigjährige Papst von den Stufen des Throns herabstieg, um sich die Hände küssen zu lassen. Seinen Kardinalshut hielt er noch immer in der Hand, als könnte er sich gar nicht davon trennen. Doch dann warf er ihn schwungvoll über die Köpfe der Herandrängenden hinweg seinem Cousin Giulio zu, der ihn geschickt auffing. »Nimm ihn, Giulio! Ich habe dafür keine Verwendung mehr«, rief er übermütig.
Giulio setzte sich zufrieden lächelnd den Kardinalshut seines päpstlichen Cousins auf. Wenn Giovannis Investitur mit dreizehn Jahren zum jüngsten Kardinal der Kirchengeschichte die Aufsehen erregendste Ernennung seit hundert Jahren gewesen war, dann war Giulios Investitur mit Sicherheit die unkonventionellste. Giulio wurde zum Erzbischof von Florenz, zum Kurienkardinal, Schatzkämmerer und Legat für die gesamte Toskana ernannt.
Papst Leo wurde von den herandrängenden Gratulanten fast erdrückt und flüchtete sich zurück auf seinen Thron vor dem improvisierten Altar von San Pietro. Die Krönungsfeierlichkeiten wurden dem Zeremoniell entsprechend fortgesetzt, und Paris de Grassis, der Papst Leo nicht von der Seite wich, atmete erleichtert auf.
»Das ist keine Papstkrönung, das ist eine Familienfeier der Medici, die ich ausrichten soll«, hatte sich Paris de Grassis vor zwei Tagen beschwert. »Der Papstpalast heißt nur noch ›Palazzo Medici‹, seit unzählige Mitglieder der Familie aus Florenz angereist sind, um ihrem geliebten Bruder, Onkel, Cousin und Schwager zu huldigen. Und damit sich selbst.«
Unterhalb der in den blauen Himmel ragenden Vierungskuppel von San Pietro war mit Gobelins ein windgeschützter Platz abgeteilt worden, auf dem die Krönung des neuen Papstes stattfand. Der Schnee war rechtzeitig zur Krönung von den Altarstufen weggeschmolzen. Der erste Tag des neuen Pontifikates war gleichzeitig der erste schöne Frühlingstag des Jahres 1513. War das ein Zeichen Gottes?
Die Mitglieder des Medici-Clans drängten sich um den Papstthron, als wollten sie sich die besten Plätze an der Festtafel sichern. Sie waren alle gekommen: Giovannis Cousine Caterina, die Geliebte von Herzog Guidobaldo da Montefeltro. Maddalena de’ Medici war mit ihrem Gemahl Franceschetto Cibò im Vatikan erschienen. Der Papstsohn Franceschetto gab sich so arrogant, als hätte er die Stanzen nach dem Tod seines Vaters, Papst Innozenz VIII ., nie verlassen müssen, um Cesare Borgia Platz zu machen.
Weitere Kostenlose Bücher