Der Fürst der Maler
wirst sein, was ich bin.« Er zitierte Masaccios lateinischen Vers zum gemalten Tod in Santa Maria Novella. Und ich hatte das Skelett für den Menschen, das Maß aller Dinge gehalten. Es war nicht der Mensch, es war der Tod.
Am Ende können wir nichts mitnehmen. Nichts als die Gedanken derer, die uns lieben.
Donato war nicht allein, als er starb. Sein Papst, sein bester Freund Leonardo und ich, sein Sohn im Geiste, waren bis zu seinem Ende bei ihm.
Zeit, um Donato zu trauern, hatte ich nicht. Am nächsten Morgen übernahm ich auf Wunsch von Papst Leo die Bauleitung von San Pietro. Ich führte lange Gespräche mit Giuliano und Nino da Sangallo und mit dem achtzigjährigen Fra Giocondo, einem genialen Architekten, der Donato als Assistent unterstützt hatte. Giuliano, der seine Reisetruhen schon gepackt hatte, erklärte sich schließlich bereit, mich als mein Stellvertreter beim Bau von San Pietro zu unterstützen. Und auch Nino blieb in Rom und kehrte nicht nach Florenz zurück. Zusätzlich verpflichtete ich noch meinen Freund Baldassare Peruzzi, mir bei der Errichtung von San Pietro zu helfen.
Mein Leben änderte sich von einem Tag auf den anderen. Vom Morgengrauen bis zum Mittag hielt ich mich auf der gigantischen Baustelle von San Pietro auf, dann sah ich nach dem Fortgang der Arbeiten an den Fresken in der Stanza dell’Incendio, deren Leitung ich Gianni und Giulio gemeinsam übertragen hatte, während Gio’ die Ausmalung und die Stuckornamente der Loggetta vorbereitete, Raffaellino die zweiundfünfzig Skizzen für die Darstellung der Bibel des Raphael in der zweiten Loggia zusammentrug und der aufsässige Perino die Freskierung der päpstlichen Villa Magliana außerhalb von Rom überwachte. Dann besuchte ich meist eine der anderen Baustellen, für die ich als Bauleiter zuständig war: die Cappella Chigi in der Santa Maria del Popolo, die verschiedenen Palazzi im Borgo Sant’Angelo und der Via Giulia, die Errichtung der drei Prachtstraßen durch das florentinische und das venezianische Viertel, die Verbreiterung der Via di Ripetta in eine päpstliche Triumphstraße, die fortan Via Leonina hieß, die Vollendung der Villa Medici an den Hängen des Monte Mario, die Ausgrabungen auf dem Forum Romanum und im Domus Aurea, die Renovierung des Lateranpalastes und die Restaurierung verschiedener antiker Tempel.
Fast ständig war ich unterwegs. Ich beschäftigte ein Heer von Assistenten, die mir mit einer Truhe voller Baupläne, Pergamente, Skizzenblocks, Zeichenstiften und oft auch mit einer vorbereiteten Mahlzeit folgten, wohin ich auch ging. Sie hielten die Verbindung zu meinem ›Hauptquartier‹ im Bauleiterzelt von San Pietro sowie zu meinen Stellvertretern Giuliano da Sangallo, Baldassare Peruzzi, Giulio Romano, Gian Francesco Penni, Giovanni da Udine, Perino del Vaga und Marcantonio Raimondi, übermittelten meine Anweisungen und Entscheidungen, brachten Pläne, Skizzen und Verträge von einem Ende Roms zum anderen und zu den neuen Filialen in Perugia, Florenz und Venedig, damit ich sie genehmigen oder abzeichnen konnte.
Meist kehrte ich erst spät am Abend in meinen Palazzo zurück, manchmal übernachtete ich auch in der Villa Magliana, wenn es zu spät war, um nachts nach Rom zurückzukehren. Giovanni hatte mir in seiner Wochenendvilla einen eigenen Raum einrichten lassen. Wochenlang hatte ich keine Zeit für festliche Bankette bei meinen Freunden, für die Konzerte, die Leonardo in der päpstlichen Wohnung im Vatikan gab. Oder für Felice.
Ich wühlte mich durch Donatos Baupläne, vertiefte mich
in eine ins Italienische übersetzte Ausgabe des Architekturtraktates von Vitruvius, um Donatos statische Berechnungen nachvollziehen zu können. Bisher war ich nur Architekt gewesen und hatte die Berechnung der Statik meinen Assistenten überlassen. Doch nun sollte ich mich mit Donato Bramante und Filippo Brunelleschi messen, der in Florenz die größte Kuppel der Welt errichtet hatte. Giovanni bestand darauf, dass meine Kuppel größer sein sollte als die von Santa Maria del Fiore! Wie ein geblähtes Segel sollte sie sich über der Kathedrale von San Pietro erheben und die Kirche durch alle Stürme in eine neue Zeit tragen.
Giovanni verlangte in seinem Wahn, dass ich Donatos Pläne änderte und ein neues Modell von San Pietro entwarf. »Ich will eine großartige Kirche, so wie du sie in deinem Credo gemalt hast«, befahl er mir. »Keinen Tempietto von Bramante.«
Ich antwortete ihm, dass San Pietro auch nach
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