Der Fürst der Maler
Hand – ohne Gianni oder Giulio – gemalt hatte: die Sixtinische Madonna und die Madonna della Sedia. Seit dem Tod ihres Vaters Papst Julius vor über einem Jahr waren Felice und ich uns ein paar Mal begegnet – während der Literatentreffen bei Baldassare Castiglione und der Musikabende mit Lautenspiel und Gesang in der Wohnung des Papstes. Felices Kompositionen für die Lira da Braccio oder die Laute entzückten Giovanni. Ihr schöner Gesang versetzte ihn in Ekstase. Dabei vergaß er sogar, dass sie eine della Rovere war …
» Du bist wundervoll, Felice! Die Madonna trägt deine Züge.« Ich stand direkt hinter ihr und konnte ihre Wärme spüren. Auf meiner Haut, in meinem Inneren.
»Kannst du meinen Anblick nicht mehr ertragen? Ich bin einunddreißig Jahre alt, Raffaello. Du hast kein einziges meiner Fältchen gemalt«, neckte sie mich.
»Ich habe dich gemalt, wie ich dich sehe, Felice. Nicht, wie die anderen dich sehen.«
»Du Schmeichler«, lachte sie vergnügt und lehnte sich gegen mich.
Ich schloss meine Arme um sie, zog sie an mich und küsste ihre nackten Schultern. Sie ließ es geschehen. So wie sie es geschehen ließ, als ich ihr meine Sonette schickte.
Wir blieben so vor der Madonna stehen, aneinander gelehnt, als suchten wir Halt beim anderen, die Arme ineinander verwoben, die Blicke auf die Sixtinische Madonna gerichtet.
»Die Madonna kommt mit ihrem kleinen Sohn aus der Ferne über die Wolken herangeschwebt. Sie berührt sie nicht und scheint doch zu schreiten. Ein Windhauch hat ihren Schleier erfasst und weht ihn fast schwerelos von ihrem Haar. Zu ihren Füßen knien zwei Heilige, einer trägt die Züge meines Vaters. Beide sinken in die Wolken ein und vermitteln der Madonna eine Leichtigkeit, die mit Worten nicht zu beschreiben ist …«, flüsterte Felice andächtig, als würde jedes laute Wort die Ruhe des Bildes stören. Oder die Harmonie zwischen uns. »So siehst du mich, Raffaello? Als eine Erscheinung, eine Vision?«
»Du verschwindest jedes Mal, wenn ich dir zu nahe komme …«
Sie drehte sich zu mir um und sah mich mit ihren strahlend blauen Augen an. »Und ich dachte, du ziehst dich zurück, wenn ich dir zu nahe komme. Als hättest du dir an mir die Finger verbrannt.«
»Nicht die Finger, Felice. Den Verstand.« Ich küsste sie auf die geöffneten Lippen.
Sie schlang ihre Arme um meinen Nacken und erwiderte meinen Kuss mit aller Leidenschaft.
»Ich hoffe, du wirst heute nicht wieder vor mir flüchten!«, flüsterte sie zwischen zwei Küssen.
»Nicht, wenn du es nicht tust«, versprach ich ihr atemlos.
Ihre Küsse schmeckten köstlich.
»Du weißt genau, was du willst, nicht wahr, Amor?«, fragte sie mich. Wie in jener Nacht vor zehn Jahren, als wir uns kennen lernten.
»Ich will dasselbe, was du willst, Psyche.« Meine Hände nestelten ungeduldig an den Seidenschleifen ihres Mieders.
Felice lachte über meine Ungeduld und öffnete spielerisch das Band meines Hemdes. Ihre Hände auf meiner nackten Haut versetzten mich in Ekstase.
Wir küssten uns, tranken von den Lippen des anderen wie zwei Verdurstende. Und zuerst hörten wir das Klopfen an der Tür des Ateliers gar nicht.
»Maestro!«, hörte ich Gianni flehentlich rufen.
Ich kam zur Besinnung, als Gianni nicht aufhörte, an die Tür zu hämmern. »Was ist?«, rief ich ungeduldig.
»Es ist dringend, Raffaello! Du sollst sofort kommen.«
Felice löste sich aus meiner Umarmung und begann wortlos, die Schleifen ihres Mieders in Ordnung zu bringen und den Rock glatt zu streichen. Ich warf ihr einen langen Blick zu, dann ging ich zur Tür und öffnete sie.
»Papst Leo befiehlt dich in den Vatikan. Sofort!«, wiederholte Gianni. Über meine Schulter hinweg warf er einen neugierigen Blick in das Atelier, in dem er die Contessa Orsini erkannte.
»Will er schon wieder die Pläne für San Pietro ändern?«, fragte ich ungehalten. »Warum bespricht er das nicht mit Bramante?«
Gianni trat von einem Fuß auf den anderen. »Bramante hat der Schlag getroffen. Heute Mittag ist er auf dem Gerüst der Apsis zusammengebrochen. Er stirbt. Er will dich noch einmal sehen. Der Papst hat ihm die Letzte Ölung gegeben. Er sitzt an seinem Sterbebett und befiehlt dir zu kommen. Er sagte: Sofort!«
Wie erstarrt stand ich inmitten der Loggia. Bramante starb! Mein Onkel Donato! Ich musste zu ihm. Ich schloss die Augen. Felice! Ich wollte jetzt nicht gehen. Ich konnte nicht! Ich durfte nicht! Ich würde sie wieder verlieren.
Felice trat
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