Der Fürst der Maler
abgewiesen wurde. Wochenlang hatte sie auf mich gewartet, bevor sie die unvermeidliche Entscheidung traf, zu ihrem Gemahl Gian Giordano Orsini zurückzukehren. Wie sehr musste mein Verhalten sie verletzt und gedemütigt haben!
Ich schrieb ihr, enttäuscht von ihrer Entscheidung, einen langen Brief aus der Villa Magliana und versteckte die Nachricht in einer lateinischen Ausgabe von Ovids Metamorphosen. Sie antwortete mir wenige Tage später mit einem ähnlich langen Brief. Sie gestand mir ihre Liebe, aber auch das Scheitern ihrer Hoffnungen und ihre tiefe Verzweiflung, als sie zu ihrem Gemahl zurückkehrte. Mein Brief in Ovids Verwandlungen habe ihr die Augen geöffnet und sie erkennen lassen, schrieb sie: Ich, Raffaello, sei neben den antiken Marmorstatuen der Einzige, der sich niemals ändern würde!
Sie verglich unsere Liebe mit Lucius Apuleius’ Märchen von Amor und Psyche, in dem Psyche ihren Gemahl Amor suchte, eine eifersüchtige Liebesgöttin die beiden aber für immer trennen wollte.
Während ich Felices Rubinring an meinem Finger betrachtete, den sie mir vor zehn Jahren bei unserem Abschied in Santa Croce gab, dachte ich darüber nach, was mich an dieser Analogie störte. Es war nicht Psyches ewige Suche nach ihrem Amor. Es war die Tatsache, dass Psyche und Amor verheiratet waren. Felice und ich waren es nicht.
Oder doch?
Im Angesicht Gottes hatten wir uns in Santa Croce ewige Liebe geschworen. Unser gegenseitiges Versprechen hatten wir mit Küssen besiegelt.
Ich hatte ihr meinen Ring gegeben: »Er ist jetzt deiner! So wie ich!«
Und auch sie hatte den Rubinring von ihrer Hand gezogen und ihn an meinen Finger gesteckt. »Und ich gehöre dir«, hatte sie gesagt.
Ich trug ihren Ring noch immer.
Kein Priester hatte unseren Bund gesegnet, aber Gott hatte es getan, indem er unsere Schicksale verflocht und uns zusammenband – für immer!
»Ist es wahr?«, fragte Michelangelo ungehalten. »Ist es wahr, dass du mich zur Farbschlacht herausgefordert hast, Raffaello? Und dass das Schlachtfeld meine Sixtina sein soll? Ganz Rom spricht darüber.«
Papst Leo wollte das von Julius begonnene Werk fortführen und die Sixtina ausschmücken, die die ehrwürdigste Kirche der Christenheit war, solange die Kathedrale San Pietro nicht vollendet war. Er hatte mich vor wenigen Tagen in die Sixtina geführt und auf die freskierten Wände gedeutet: »Sandro Botticelli, Luca Signorelli, Pietro Perugino, Domenico Ghirlandaio, Bernardino Pinturicchio, Cosimo Rosselli und Michelangelo Buonarroti – sie alle haben in der Sixtina ihre Spuren hinterlassen. Du bisher nicht, Raffaello! Ich will, dass du die größten Meister Italiens mit deinen Entwürfen in den Schatten stellst. Aber nicht mit noch mehr Eimern Freskofarbe, sondern mit gewirkter Seide.«
Giovanni hatte mir den Auftrag gegeben, zehn Kartons für Wandteppiche zu entwerfen, die in der Werkstatt von Pieter van Aelst in Brüssel gewebt werden sollten. Die fertigen Seidenteppiche sollten an hohen kirchlichen Feiertagen unterhalb der Fresken aufgehängt werden.
Die Entwürfe für die Gobelins hatten mich vor Probleme gestellt, die ich noch bei keinem Karton für ein Fresko hatte. So detailliert und farbig ich die Entwürfe auch ausführte – ich hatte keinen Einfluss auf die Weber in Brüssel, die die großen Kartons zur Herstellung der Teppiche zerschneiden würden. Zudem musste ich spiegelverkehrt arbeiten und mit einer Linienführung, die sich in einem gewebten Gobelin wiedergeben ließ. Aber wie sollte ich die unvermeidlichen Verzerrungen in den bewegten Körpern und Gesichtern und die Farbe der verwebten Seide berücksichtigen? So geschickt Pieter van Aelsts Weber auch waren: Die Feinheiten meiner Zeichnungen konnte ein anderes Material als eine Holztafel oder eine Leinwand für ein Ölgemälde oder eine glatt verputzte Freskowand nicht wiedergeben.
Und trotzdem hatte Giovanni bereits den ersten Karton in Originalgröße, den Entwurf für die Aussendung der Jünger, als ein großartiges Kunstwerk bezeichnet, das er nicht nach Brüssel schickte, ohne es vorher durch Giulio Romano kopieren zu lassen. Die anderen Kartons mit Szenen aus dem Leben der Apostelfürsten Petrus und Paulus würden in den nächsten Monaten fertig gestellt werden.
Aber mein größtes Problem war die Antwort auf die Frage, wie meine Wandteppiche mit Michelangelos Decke zusammenpassen konnten, ohne dass ich auf meinen eigenen Stil verzichtete und in Michelangelos Manier arbeitete
Weitere Kostenlose Bücher