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Der Fürst der Maler

Der Fürst der Maler

Titel: Der Fürst der Maler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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Donatos Plänen gewiss kein ›Tempelchen‹ sei, sondern ein Tempel, größer als der zerstörte Tempel von Jerusalem. Aber Giovanni hörte mir überhaupt nicht zu!
    »Bramantes Pläne mögen Papst Julius genügt haben. Mir genügen sie nicht«, unterbrach er mich mit mediceischer Ungeduld.
    Giovanni wollte San Pietro nicht als griechisches Kreuz errichtet haben, sondern in der Form eines lateinischen Kreuzes, als Symbol der Kirche selbst. Ich verzweifelte fast, denn mit dieser Planänderung eines zusätzlichen langen Prozessionsweges vom Eingangsportal zum Altar würde San Pietro fast doppelt so groß werden. Und doppelt so teuer!
    »Befürchtest du statische Probleme?«, fragte Giovanni, als er mein betretenes Gesicht sah – und Agostinos, der als Bankier der Kirche an unserer Besprechung teilnahm.
    »Nein, Giovanni. Keine statischen Probleme für San Pietro. Ich sehe Probleme für die Statik der gesamten Kirche. Du kannst nicht noch mehr Ablässe verkaufen, um San Pietro zu finanzieren«, warnte ich ihn. »Der Bau wird nach diesen neuen Plänen weit über eine Million Dukaten kosten.«
    »Kümmere du dich um deine Probleme, Raffaello, und ich kümmere mich um meine«, wetterte Giovanni. »Du baust San Pietro, und ich baue die Kirche neu.«
    Giovanni war so geblendet von seiner strahlenden Vision einer großen Kirchenreform und der Errichtung des gigantischen Symbols seines Triumphes über das Laterankonzil, dass er die warnenden Stimmen aus den eigenen Reihen gegen den inflationären Ablasshandel – die lauten Protestrufe seines humanistischen Brieffreundes Erasmus von Rotterdam und die noch zaghaften, leisen Proteste von jenseits der Alpen –, einfach überhörte.

    Rom war eine einzige Baustelle – meine Baustelle! Überall wurden Ruinen frei geschaufelt und Fresken, Sarkophage, Reliefs und Inschriften ausgegraben. Wenn antike Statuen aus dem Treibsand der Vergangenheit auftauchten, dann überboten sich die Kunstsammler und Antikenhändler gegenseitig, um sie zu erwerben. Die besten Stücke verschwanden in Privatsammlungen. Viele andere wurden bei den Ausgrabungen zerstört oder einfach gestohlen. Unersetzliches ging für immer verloren – unsere Vergangenheit, die griechischen und römischen Wurzeln unserer Zivilisation, die sich so stolz das ›Renascimento‹, die Wiedergeburt antiker Ideen nannte.
    Ich begann damit, das antike Rom zu rekonstruieren. Ich ließ meine Assistenten perspektivische Zeichnungen der Ruinen anfertigen und trug ihre Skizzen in einen Plan ein. Leonardo unterstützte mich mit seinen Kenntnissen in präziser Vermessungstechnik. Er hatte für Cesare Borgias Feldzüge Landkarten gezeichnet und sogar die genaue Höhe des Monte Rosa über dem Meeresspiegel gemessen. Er setzte mir den Floh ins Ohr, den vollständigen Plan in einem Buch zu veröffentlichen. Mit Skizzen, wie die antiken Gebäude vor eintausendfünfhundert Jahren ausgesehen hatten. Mit einem detaillierten Straßenplan Roms zur Zeit des Kaisers Nero.
    Einen Verleger für mein Buch hatte ich nach nur einer Stunde gefunden: Agostino Chigi, der von dieser ungewöhnlichen Idee begeistert war und mir seine Druckerei zur Verfügung stellen wollte. Marcantonio Raimondi wollte die Karten und Stadtansichten in Kupfer stechen. Doch die Arbeit an diesem Buch würde noch Monate in Anspruch nehmen, und sie war ein Wettlauf gegen die Zeit.
    Giovanni de’ Medici bestellte bei Agostino die erste Ausgabe des noch nicht einmal gedruckten Buches und ernannte mich zum Archäologen. Ich lachte über seine neue Wortschöpfung: ›Archäologie‹, die überraschend schnell in aller Munde war.
    Alles, was im Umkreis von zehn Meilen in Rom ausgegraben wurde, musste mir vorgelegt werden, damit ich Skizzen davon anfertigen oder es für die vatikanischen Sammlungen aufkaufen konnte. Keine Inschrift durfte mehr verloren gehen, keine Tonscherbe, kein Bruchstück eines Marmorblocks. Giovanni verbot den weiteren Abriss der Caracalla-Thermen und des Colosseums, die Donato Bramante acht Jahre lang als Steinbrüche genutzt hatte. Kein antiker Marmorblock durfte mehr zersägt werden, um daraus Mörtel für San Pietro herzustellen. Einerseits war ich glücklich über seine längst überfällige Entscheidung, andererseits trieb sie mich zur Verzweiflung, denn die Errichtung von San Pietro wurde dadurch noch teurer.

    Niemand hatte mir erzählt, dass Felice Rom verlassen hatte. Ich erfuhr es erst, als ich eines Abends von ihrer Dienerschaft im Palazzo Orsini

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