Der Fürst der Maler
gelernt, was es zu lernen gab«, fauchte Perugino. »Ich habe dich zu dem gemacht, was du heute bist: ein unbelehrbarer und begabter, ein unvernünftiger und intelligenter, ein alles in Frage stellender Maler. Ich war immer wie ein Vater für dich da, wenn du mich gebraucht hast, wenn du meinen Rat haben und wenn du dich mit mir streiten wolltest.«
»Ich streite mich mit dir nicht mehr über die Beschaffenheit von Heiligenscheinen und Engelsflügeln!« Ich war diese Diskussion mit ihm leid. Wir hatten sie tausend Mal geführt. Oder öfter. »Oder über die Glanzlosigkeit, die Unfarbigkeit deiner Farben!« Ich wandte mich zum Gehen.
»Verschwinde, Raffaello! Florenz ist nicht groß genug für uns beide«, forderte er mich auf.
Ich blieb stehen und drehte mich zu ihm um. »Florenz ist groß genug für Leonardo und Michelangelo!«
Er starrte mich mit aufeinander gepressten Lippen an und begann dann höhnisch zu lachen. »Also ist dir deine furchtbare Arroganz nicht einmal im Angesicht von Michelangelos David und Leonardos Madonna Lisa vergangen? Willst du sie auch kopieren, um sie in ihrem eigenen Stil zu übertreffen?«
»Ich kopiere dich nicht, Pietro. Ich male, wie du es mich gelehrt hast!«, sagte ich lauter als beabsichtigt.
»So nennst du das? Ich nenne es Imitation. Ich nenne es eine Lüge!«, übertönte er mich mühelos.
Es war nicht unser erster Streit. Und es würde nicht unser letzter sein.
»Eine Lüge?«
»Du malst wie ich, Raffaello. Weil du unfähig bist zu einem eigenen Stil. Du malst wie ich, damit deine Bilder dieselben Preise erzielen wie meine. Ich bin der beste Maler in ganz Italien. Und der bestbezahlte. Du hast dir noch keinen Namen gemacht. Du bist unbekannt. Deshalb nutzt du meine Berühmtheit schamlos aus.«
Für einen Augenblick war ich sprachlos, doch dann brach die heiße Wut aus mir heraus. »Ich habe gemalt wie du, Pietro! Ich hatte starke Gefühle, die ich auf die Leinwand gebannt habe! So wie du, am Anfang deiner Karriere. Das gefiel einigen Leuten, und sie haben deine Bilder gekauft. Dein Stil wurde beachtet. Du hast ihn verfeinert, entwickelt, und schließlich hast du dich selbst imitiert. Du wurdest zum Sklaven deiner Auftraggeber, die immer nur dasselbe von dir verlangten. Das Gefühl ist seit langem verloren: Dein Stil ist seelenlos. Gesten ohne Bewegung, Worte ohne Bedeutung. Im Gegensatz zu dir habe ich diese Gefühle noch immer! Sie geben mir die Kraft, aus der Mittelmäßigkeit zu entkommen. Ich werde …«
»Mittelmäßigkeit?«, brüllte Perugino, und das Echo hallte von den Seitenschiffen der Kirche. »Ich habe mit Sandro Botticelli, Domenico Ghirlandaio und Luca Signorelli die Sixtina ausgemalt, als du noch nicht geboren warst!«
»Überlegt Seine Heiligkeit deshalb, die Kapelle neu streichen zu lassen?«, konterte ich. Ich hatte von Papst Julius’ Plänen gehört, die Decke der Sixtina freskieren zu lassen.
Pietro lachte verächtlich. »Vielleicht gibt er dir ja eines Tages den Auftrag, die Sixtina zu streichen.«
»Das würde Julius ruinieren! Denn im Gegensatz zu dir, Pietro Perugino, lasse ich mich nicht nach bemalten Quadratellen bezahlen – sondern nach meinen Fähigkeiten!« Mit diesen Worten ließ ich ihn hinter mir zurück.
Die Verherrlichung Gottes und die Belehrung der Menschen war seit der Antike das Ziel der Kunst gewesen. Nicht die Perspektive oder die Haltung der Dargestellten. Maler wie Giotto und Masaccio nutzten ihr Talent, um wie Pietro Perugino Formen zu wiederholen wie die Worte einer Sprache. Jeder Maler entwickelt seine eigene Sprache, benutzt immer wieder dieselben Figuren und Farben, an denen er leicht zu erkennen ist: eine Geste oder ein Lächeln, das immer wiederkehrt. Doch kann ein Künstler der Mittelmäßigkeit entkommen, solange er sich von dem Werk eines anderen inspirieren lässt? Solange er sich selbst kopiert?
Ich besichtigte Giottos Fresken in der Kirche von Santa Croce und fertigte Farbskizzen von Masaccios Vertreibung aus dem Paradies in Santa Maria del Carmine. Aber nicht, um Giotto und Masaccio zu kopieren, sondern um von ihnen zu lernen.
Die Sprache selbst wollte ich verstehen, die Grammatik, die Worte. Ich wollte die Malerei erlernen, wie ich vor Jahren Latein gelernt hatte: die Definition von Subjekt und Objekt, die Deklinationen des Menschen, die Relation zur Welt, in der er lebt, die Konjugation seiner Handlungen bis zur Unterwerfung unter den göttlichen Imperativ.
Was ist der Mensch?
Das war die
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